Der Maler Cornelis Cornelissen van Haarlem
Er ist der bekannteste Vertreter des Namens Cornelissen, wenn er auch häufig in der Kurzform Cornelisz und manchmal in der langen Form Corneliszoon geschrieben wird. Fast in allen Kunstgeschichten wird er behandelt. Er gilt als einer der führenden Vertreter des so genannten Manierismus in den Niederlanden, einer Stilrichtung der Spätrenaissance, die dort etwa von der Mitte des 16. Jahrh. bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrh. währte. Reizvoll ist zudem, dass sein Vorname ähnlich wie sein Familienname lautet und hieran sich besonders einleuchtend die Entstehung des Namens erklären lässt. Daher soll auf diese Persönlichkeit näher eingegangen werden.

Nur wenig über sein Leben bekannt
Will man sich näher mit diesem Künstler beschäftigen, so ist neben ein paar Daten und der Besprechung seiner wichtigsten Werke nicht viel über ihn zu finden. Dies mag vor allem daran liegen, dass über sein Leben nur wenig bekannt ist und auch bisher nur wenig Einzeldarstellungen über ihn erschienen sind. Das jüngste und ausführlichste Werk über ihn geht auf ein Doktorarbeit der Amerikanerin Julie L. McGEE am Bryn Mawr College in Pennsylvania zurück. Das 502 Seiten starke Werk - einschließlich der Wiedergabe von 105 Bildern aus jener Zeit - ist 1991 erschienen und lautet
CORNELIS CORNELISZOON VAN HAARLEM
(1562 – 1638)
PATRONS, FRIENDS AND DUTCH HUMANISTS
(= Auftraggeber, Freunde und holländische Humanisten)

Ansonsten gibt es über Cornelis van Haarlem, wie der Künstler meist kurz genannt wird, zwei größere Arbeiten: 1911 eine Dissertation von Friedrich WEDEKIND an der Universität Leipzig und 1959 eine Dissertation des Niederländers Pieter J. J. van THIEL an der Universität Amsterdam. Dr. van Thiel, inzwischen Kurator für europäische Malerei am Rijksmuseum in Amsterdam, gilt heute als bester Kenner seines Werkes und hat verschiedene Arbeiten über ihn veröffentlicht.

Schon mit 17 "Cornelis Schilder" genannt
Das wenige, was über das Leben dieses produktiven Künstlers bekannt ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Cornelis wurde 1562 in Haarlem als Sohn der Eheleute Cornelis Thomasz und Alydt Jakobsdr geboren, die offenbar wohlhabende und angesehene Bürger waren. Er hatte zumindest drei Brüder. Von früher Jugend zeigte Cornelis Interesse an der Kunst. Als 1572 Haarlem von spanischen Truppen belagert wurde, flohen seine Eltern und überließen ihn der Sorge seines Lehrmeisters, nämlich des Porträtmalers Pieter Pietersz. Schon mit 17 Jahren galt er als "guter Maler" und führte den Namen Cornelis Schilder (= Maler Cornelis). Um weiterzulernen, ging er auf Wanderschaft, die ihn nach Rouen und Antwerpern führte. 1583 ist er aber schon wieder in Haarlem, denn dort malte er in diesem Jahr sein frühestes datiertes Gemälde, nämlich das "Bankett der St. Georgs-Schützengilde". Bis zu seinem Tode 1638 war er dann in Haarlem tätig, wo damals eine Anzahl Künstler und bedeutender Persönlichkeiten wirkten.
Offenbar war Cornelis sehr arbeitsam, was allein schon daraus hervorgeht, dass ihm fast 250 Gemälde zugeschrieben werden. Dazu kommen noch 28 Zeichnungen als Vorlagen für Kupferstiche, von denen er die letzte 1605 anfertigte. Wie sein berühmter Haarlemer Kollege Carel van MANDER 1604 in Het Schilder-Boeck (= Das Maler-Buch) schreibt, hatte Cornelis damals mit 42 Jahren sechs "Schüler" (davon übrigens zwei mit dem Vornamen Cornelis). Laut dieser Biographie arbeitete Cornelis "nach dem Leben" wie auch nach antiken Modellen. Er besaß selbst über 45 Skulpturen, von denen viele Abgüsse antiker Modelle waren, weiterhin 17 Gemälde anderer Maler sowie zahlreiche Drucke, u. a. auch von Dürer.

Zur Beerdigung 90 Minuten Glockengeläut
Cornelis heiratete um 1603 Maritgen (= Maria) Arentsdr Deymann, die ihrerseits in erster Ehe mit einem Cornelis Jansz verheiratet war. Ihr Vater und Großvater waren verschiedene Male Bürgermeister von Haarlem. 1605 erbte Cornelis ein Drittel des Besitztums seines vermögenden Schwiegervaters. Maritgen starb schon 1606. Als direkte Nachkommen hatte Cornelis offenbar nur eine uneheliche Tochter namens Maritgen Cornelisdr. Im damaligen Taufregister von Haarlem ist zwar bei mehreren Kindern der Name des Vaters als "Cornelis Cornelisz van Haerlem" angegeben. Es wird aber als wenig wahrscheinlich angesehen, dass dies seine Kinder waren.
Er war Mitglied der Sint Jacobsgilde (= Sankt-Jakobsgilde). Von 1613 bis 1618 übte er das Ehrenamt eines der vier "Regenten" des "Oudemannenhuis" (Art Altersheim für Männer) aus, in dem sich heute das Frans-Hals-Museum befindet.
Cornelis starb im November 1638 im Alter von 76 Jahren und wurde in der Hauptkirche von Haarlem, der St. Bavo-Kirche, am 19.11.1638 begraben. Bei der Beerdigung, die die damals beträchtliche Summe von 20 Gulden kostete, wurden 90 Minuten lang die Glocken geläutet.

Mitbegründer der "Haarlemer Akademie"
Den Höhepunkt seines Schaffens erreichte Cornelis mit der so genannten "Haarlemer Akademie". Diese wurde gegen 1587 von zwei anderen Künstlern und ihm in enger Verbindung mit den Humanisten und einer örtlichen Gruppe von Dichtern gegründet. Wie der Franzose Jean LEYMARIE in seinem Werk Die holländische Malerei von 1956 dazu ausführt, folgte man dabei dem Vorbild der Akademie der Caracci zu Bologna, war allerdings volkstümlicher und weniger planmäßig. Zweck der Akademie sei vor allem das lebendige Studium des Nackten gewesen, das man in Holland noch nicht kannte. Der nackte Mensch, durch diese drei Künstler den sonderbarsten Varianten unterworfen, habe das wesentliche Element ihrer linearen und gelehrten Allegorien gebildet.
Die beiden anderen Künstler waren zum einen der Flame Carel van Mander (1548–1606), Schriftsteller, Biograph und ebenfalls Maler, der vor allem von der italienischen Spätrenaissance und dem Maler Spranger, der beherrschenden Figur des späten Manierismus, beeinflusst war. Zum anderen war es der berühmte Zeichner und Stecher Hendrick Goltzius (1558–1617).
Die "Haarlemer Akademie" bildete den letzten Aufschwung der Stilrichtung des Manierismus. Wie Leymarie dazu ausführt, lebten zwar viele Züge des Manierismus noch lange fort, sein Paroxysmus, die kaum zehn Jahre dauernde Steigerung in Haarlem, sei jedoch keiner Entwicklung mehr fähig gewesen; andere Bestrebungen hätten sich Bahn gebrochen.


"Der Kindermord von Bethlehem", Gemälde auf Leinwand von Cornelis Cornelissen,
268 x 257 cm groß, entstanden 1591 in Haarlem. Heute im Frans Halsmuseum dort.


" ... ihm die Kunst nicht im Schlafe gekommen ist"
Lassen wir über Cornelis einen Zeitgenossen sprechen, einen Fachmann dazu. Der Maler, Poet und Schriftsteller Carel van MANDER1, der zur gleichen Zeit wie Cornelis in Haarlem lebte, schrieb 1604 ein Werk mit dem Titel Das Leben der niederländischen und deutschen Maler. Darin widmet er Cornelis mehrere Seiten und findet sehr lobende Worte für sein Werk. Nachstehend einige Passagen hieraus in der Übersetzung von Hanns Floerke aus dem Jahre 1905:
Inzwischen kam Cornelis seiner ihn anspornenden Natur außerordentlich zu Hilfe, indem er äußerst fleißig und viel nach der Natur zeichnete, wozu er sich die besten beweglichen und lebendigen Antiken auswählte, deren wir hierzulande eine genügende Anzahl besitzen, als dem sichersten und besten Studium, das es gibt, wenn man ein so vollkommenes Urteil hat, daß man das Schönste vom Schönen zu unterscheiden vermag. Und so kann ich wohl bezeugen, daß ihm die Kunst nicht im Schlafe gekommen ist, er sie vielmehr mit großer Arbeit errungen und bezahlt hat. Und wer da meint, auf andere Weise zu solcher Vollkommenheit gelangen zu können, der wird sich schließlich betrogen sehen und nur den Schatten der Kunst erreichen.
An anderer Stelle in Manders Besprechung heißt es:
Früher schon hat er einen großen Kindermord gemalt, der zu Haarlem im Prinsenhof zu sehen ist und dessen Flügel von Marten Heemskerck gemalt sind2. Es ist ein vortreffliches Stück voll starker Bewegung unter den nackten Kinderschlächtern; bemerkenswert ist auch die Entschlossenheit, mit der die Mütter ihre Kinder verteidigen, ebenso die Charakterisierung der Karnation der verschiedenen Lebensalter, bei Männern sowohl wie bei Frauen sowie die des zarten jungen Kinderfleisches und ihre Veränderung durch den Tod an den verbluteten Leichen. Über einer Türe befindet sich dort ferner ein großes Bild in Hochformat mit Adam und Eva3. Die Figuren sind lebensgroß und herrlich gemalt. Ebenda befindet sich in einem besonderen Zimmer auch ein großes Götterbankett, genauer die Hochzeit des Peleus und der Thetis mit der Szene des Erisapfels, ein hervorragend kunstreiches Stück von schöner Erfindung, das eine ganze Wand einnimmt4. Nach der Ausführung dieses und noch anderer herrlicher Werke begann Cornelis der Färbung des Nackten mehr Beachtung zu schenken als vorher, und zwar mit dem Erfolge, daß in dieser Beziehung bei ihm eine wunderbare Veränderung eingetreten ist und sich bei der Vergleichung seiner gegenwärtigen mit den früheren Sachen ein großer und deutlicher Unterschied zeigt.
1) dessen Vater und älterer Bruder übrigens mit Vornamen Cornelis hießen.
2) Datiert 1591, jetzt im Frans Hals-Museum in Haarlem ausgestellt als Dauerleihgabe des Mauritshuis im Haag.
3) Jetzt im Rijksmuseum in Amsterdam, datiert 1592.
4) Jetzt im Frans Hals-Museum in Haarlem ausgestellt als Dauerleihgabe des Mauritshuis im Haag, gemalt 1593.)


Bereits zu Lebzeiten in hohem Ansehen
Schon aus dem ungewöhnlich langen Geläut bei der Beerdigung von Cornelis Cornelissen wird auf die große Wertschätzung geschlossen, die ihm seine Mitbürger entgegenbrachten, und auf seinen erheblichen Wohlstand. Ganz offenbar stand Cornelis in großem Ansehen. Zu seinen Auftraggebern gehörten neben dem Stadtrat von Haarlem auch der Herzog von Leicester, damals englischer Generalgouverneur der Niederlande. Er verkehrte allem Anschein nach in den führenden Kreisen der damals bedeutenden Stadt; dies ergibt sich auch aus der prominenten Verwandtschaft seiner Frau als Bürgermeisterstochter und -enkelin.
Außer der vorgenannten Biographie von Carel van Mander aus dem Jahre 1604 wurde Cornelis zu Lebzeiten auch in einem Werk von HONDIUS mit dem lateinischen Titel Pictorum aliquot celebrium (= Über etliche berühmte Maler) aufgeführt, das etwa 1610 erschien. Dort findet sich unter seinem weiter unten wiedergegebenen Porträt folgende Inschrift:
CORNELI CORNELII, HARLEMENSIS, PICTOR
Peniculum studio teneris tractavit ab annis:
Qui docuit quantum cura laborque valent,
Ante alios dictus fuit hic cognomine PICTOR
Quam bene cognomen congruit artifici.

(= CORNELIS CORNELISSEN VON HAARLEM, MALER
hat den Malerpinsel seit Jugendjahren mit Eifer geführt
hat gezeigt, wie viel Mühe und Arbeit vermögen.
Vor anderen wurde er mit dem Beinamen MALER belegt.
Wie gut entspricht dieser Beiname dem Künstler.)
Ampzing, ein bedeutender Haarlemer Historiker des 17. Jahrh., nannte ihn die "Krone des Landes". Ein anderer namhafter Historiker Haarlems, Schrevelius, ebenfalls aus dem 17. Jahrh., verglich Cornelis mit der "trefflichen Familie der Cornelier in Rom".
Zur Mitte des 17. Jahrh. schmückten Cornelissens Werke manches europäische Königshaus. Die meisten seiner Graphiken wurden im Laufe des 17. Jahrh. von bekannten niederländischen Verlegern mehrfach neu herausgegeben und sogar kopiert. All das zeigt seine Wertschätzung auch noch in späterer Zeit. In der Kunstkritik heißt es allerdings, dass etwa seit 1610, nachdem van Mander tot und Goltzius das Kupferstechen aufgegeben hatte und ihm dadurch wohl deren Anregungen fehlten, die Dynamik in seinen Werken nachlässt. Es fehlten ihm wohl auch später Aufträge, die neue Herausforderungen an ihn stellten. So sei in seinem späteren Werk eine gewisse Wiederholung und Oberflächlichkeit nicht ganz zu leugnen.

So sah er aus
Es gibt zwei Bilder, die mit Sicherheit Cornelis darstellen. Das eine ist die nachstehende kleine Zeichnung (5,8 X 4,7 cm), die von seinem Kollegen, dem berühmten Kupferstecher Goltzius, ausgeführt wurde und ihn im Alter von 22 Jahren zeigt. Das andere ist das rechts daneben stehende Porträt in dem vorerwähnten Werk über berühmte Maler (Pictorum aliquot celebrium) von Hondius von etwa 1610. Dieses Porträt ist aber möglicherweise auf Grundlage der Zeichnung von Goltzius angefertigt worden.
Links Cornelis Cornelissen mit 22 Jahren, Zeichnung von Goltzius. Rechts seine Abbildung in dem Werk Pictorum aliquot celebrium von Hondius, etwa 1610.

Darüber hinaus wird die Auffassung vertreten, dass in Cornelissens Gemälde "Bankett der St.-Georg-Schützengilde" von 1583 die Person links unten den Künstler darstellt.
Weiterhin befindet sich in den Musées Royaux des Beaux-Arts in Brüssel das anonyme Selbstporträt eines jungen Malers, das von manchen Experten Cornelis von Haarlem zugeschrieben wird. Das Museum selbst bezeichnet es als Selbstporträt des Cornelis. Es sind dies aber weitgehend Vermutungen, die im wesentlichen auf der Ähnlichkeit mit der Zeichnung von Goltzius beruhen.


"Einer der führenden Manieristen in Holland"
Zu seiner Zeit stand Cornelis Cornelissen offenbar in hohem Ansehen; er war der gefeiertste Künstler seiner Vaterstadt. Seine Werke waren von fürstlichen Sammlern begehrt. Namentlich in älteren Kunstgalerien sind sie daher gut vertreten. Wenn auch dieser Ruhm zunächst fortdauerte, ließ doch später seine Wertschätzung nach. Die heutige Beurteilung seines Schaffens ist uneinheitlich.

"Italienisierende Geschmacksverirrungen"
So fällt Dr. Alfred von WURZBACH in seinem 1963 erschienenen "Niederländischen Künstler-Lexikon" ein wenig schmeichelhaftes Urteil über Cornelis Cornelissen:
"Als Historienmaler erweckt er heute nur mehr durch seine italienisierenden Geschmacksverirrungen, seine übertriebenen Manieriertheiten unser Interesse, als Porträtmaler ist er aber ein tüchtiger Meister. Er war seiner Zeit ein viel bewunderter und sehr teuer bezahlter Künstler. Für seine künstlerische Entwicklung ist die Schützenmahlzeit in Haarlem von 1583 ... besonders interessant. Sie ist naturalistisch und frei von Manier, während seine mythologischen Darstellungen nahezu unerträglich sind. Er wiederholt und variiert mit Vorliebe denselben Gegenstand und wählt Stoffe, welche eine mannigfache Entfaltung des nackten Körpers möglich machen. Oft entkleidet er auch die Figuren, ohne daß es nötig wäre, und wechselt den Fleischton in übertriebener Weise. ... . Trotzdem ist ihm eine gewisse Bedeutung nicht abzusprechen. Seine Zeichnung ist sicher, seine Farbe nicht selten harmonisch und seine Kenntnis der Anatomie oft bewunderungswürdig."
"... verführt durch ihre sinnliche Farbigkeit"
Andere Autoren aus etwa der gleichen Zeit äußern sich aber bei weitem nicht so kritisch. In dem Werk von Jean LEYMARIE Die holländische Malerei, im französischen Original 1956 erschienen, in deutscher Fassung erst 1979, heißt es im Kapitel über "Die Akademie von Haarlem":
"Cornelisz. spielt höchst gewandt und in den verschiedensten Auffassungen mit Beugungen und Verdrehungen, prallen Muskeln und Verkürzungen, in monumental gewollten Flächen. Seine bezeichnendste Komposition ist der Bethlehemitische Kindermord des Haarlemer Museums, 1590 datiert, der nebenbei auch eine Demonstration gegen die Grausamkeit der Spanier ist. Das dramatische Gewirr der nackten Körper steigert sich krampfhaft gegen den von unwirklichem Lichte erfüllten Hintergrund. Seine Bathseba aus dem Jahre 1594 ... verführt durch ihre sinnliche Farbigkeit, deren Beherrschung in seiner Kupplerin in Dresden aus dem gleichen Jahre noch fühlbarer wird."
"Eine furiose Girlande unzähliger ineinander verschlungener Leiber"
Heute ist der Manierismus wieder in seiner Bedeutung als eigene Stilrichtung anerkannt. Er übersteigerte die künstlerischen Errungenschaften der Hochrenaissance und entwickelte daraus eine eigene Manier, die ihm seinen Namen gab. Der Satz in Alfred von Wurzbachs Ausführungen über Cornelissens "Schützenmahlzeit": "Sie ist naturalistisch und frei von Manier, während seine mythologischen Darstellungen nahezu unerträglich sind". zeigt, dass von Wurzbach offenbar Cornelissens manieristischen Werke verkennt.
Hier seien einige Kernsätze aus dem Büchlein Wie erkenne ich Manieristische Kunst? von Gerd BETZ, 1991, wiedergegeben:
"Der manieristische Stil ... liebt das Komplizierte, Raffinierte, Geistreiche, Überraschende, Gesuchte und Ausgefallene, die zur Schau gestellte Virtuosität und die einfallsreiche Kombination gegensätzlicher Materialien. ... Die endlose Reihung und der heftige Tiefenzug sind ebenso typisch für den Manierismus wie die mechanische Anwendung übersteigerter Architekturdetails. ...
Wesenszüge des Manierismus: die Vorliebe für den komplizierten-verschränkten Aufbau, gezierte Posen, Erotik, elegantes Beiwerk, kühle Farbigkeit, unruhige Beleuchtung und ein räselhaft ausgefallenes, allegorisches Thema, das den Beifall der Kenner herausfordert und zugleich ihrem Geschmack huldigt."
In diesem Buch wird Cornelis Cornelisz als Beispiel für den Manierismus in den Niederlanden behandelt. Zum dort abgebildeten "Bethlehemitischen Kindermord" heißt es:
"Eine furiose Girlande unzähliger ineinander verschlungener Leiber kreist gestikulierend um den Tiefensog einer leeren Mitte. Das Interesse für extreme Körperhaltungen, Aktdarstellungen und bühnenhafte Beleuchtungseffekte scheint stärker zu sein als die unmittelbare Anteilnahme. Realistisch beobachtete Porträtköpfe wirken als zusätzliche Verfremdung. In den Werken seiner Spätzeit, nach 1615, wandelte sich der Künstler zu barocker Form, von der hier noch nichts spürbar ist."
Entwicklung und Erschöpfung des holländischen Manierismus
Wahrscheinlich wird Kindlers Malerei-Lexikon, Ausgabe 1964, das Cornelissens künstlerisches Wirken kurz und prägnant zusammenfasst, dem Maler am ehesten gerecht. Im Gegensatz zu von Wurzbach äußert es sich zwar differenziert, aber im Ganzen durchaus anerkennend über Cornelissens Schaffen:
"Der Maler war einer der führenden "Manieristen" in Holland. Er hinterließ ein reiches, mit vielen Daten versehenes Lebenswerk, an dem sich die Entwicklung und Erschöpfung des holländischen Manierismus ebensogut ablesen lassen wie seine Wandlung zum Barock-Klassizismus. In jungen Jahren weilte der Künstler in Nordfrankreich - Rouen - und in Antwerpen. Stilbildend aber wurde für ihn nicht etwa die flämische oder französische Kunst, sondern das Vorbild Bartholomäus Sprangers, dessen manieristische Formen man in Haarlem durch Nachstiche von Hendrick Goltzius kannte. Cornelisz’ Kompositionen aus den 80er und 90er Jahren, zu denen Der bethlehemitische Kindermord (Amsterdam) und die Sintflut (Braunschweig) gehören, sind vollgepfropft mit gestikulierenden Figuren. die um eine leere Mitte kreisen. Die Spannung, die das Bildgefüge beherrscht, ist ungewöhnlich und unheimlich. Naturalistische Beobachtungen werden einer inneren Geladenheit zuliebe übertrieben und verzerrt. Nach 1595 lockerte sich dieses Angespanntsein merklich, die innere Kraft scheint gelähmt. Eine gewisse lässige Eleganz begleitete jetzt die Bewegungen, wie Das Goldene Zeitalter (Berlin) von 1596 zeigt. Die wilden Farben der Frühzeit weichen sanften, rosafarbenen Tönen, wie sie der Spätmanierismus allenthalben bevorzugte. Auch an den beiden Schützenbildern (Haarlem) von 1583 und 1599 läßt sich derselbe Form- und Farbwandel beobachten. Die Darstellung von 1583 ist viel verhaltener, von innerer Anspannung und aufreizender Unruhe erfüllt. Das spätere Bild ist nüchterner, im Detail naturalistischer, zugleich aber von verwelkter Energie. Die Feinheit in der Oberflächenfärbung kann mit der früheren, pastosen Malweise nicht wetteifern. Eine neuerliche Stilwandlung wird in Cornelisz’ Schaffen gegen 1614-15 sichtbar: Der Künstler bekehrte sich zum Barock-Klassizismus mit ausgewogenen Formen und harmonischen Verhältnissen, wofür die Darstellung von Venus, Bacchus und Ceres (Dresden) aus dem Jahre 1614 beispielhaft ist. In Haarlem kann der gleiche Stilwandel bei vielen anderen Künstlern der Manieristengeneration beobachtet werden. Es ist nicht unmöglich, daß die Hollandreise von Rubens im Jahre 1613 diese Entwicklung förderte. In Cornelisz’ Bildern aus den 20er und 30er Jahren trat eine Lockerung ein, die Oberflächenbehandlung wurde nach einer gewissen kühlen Glätte im ersten Jahrzehnt wieder malerisch-warm. Vor allem die Genrebilder gelangen ihm reizvoll und lieblich, ohne daß diese jedoch in der Modernität mit den Arbeiten der jüngeren Haarlemer Malergeneration um Frans und Dirck Hals wetteifern können."
Vielleicht lässt sich vereinfacht Cornelissens aktuelle Einschätzung und Popularität an dem 1996 beim Reclam-Verlag erschienenen Büchlein Künstler-Porträts – Bilder und Daten von Angela BEESKOW ermessen: Bei den dort vorgestellten "200 bildenden Künstlern der Weltkunstgeschichte" ist er nicht aufgeführt.
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