Broer Cornelis oder das Haarlemse Wonder?
Von den etwa 250 Gemälden, die Cornelis Cornelissen van Haarlem zugeschrieben werden, gibt eines immer noch besondere Rätsel auf. Es ist das 1591 entstandene Gemälde mit dem Titel Mönch und eine Beghine. Beghinen waren Frauen, die ein klosterähnliches Gemeinschaftsleben führten, aber keine bindenden Ordensgelübde abgelegt hatten. Sie waren vor allem in den Niederlanden verbreitet.
Mönch und Begine. Strichzeichnung des Gemäldes in einem Prospekt des Frans-Hals-Museums mit dem Text: De monnik en de begijn. Geschilderd door Cornelis Cornelisz van Harlem in 1591.
Das Bild war im Auftrage des Haarlemer Stadtrates gemacht worden und schmückte ursprünglich die königlichen Gemächer im Prinsenhof von Haarlem, der Residenz des Prinzen von Oranien, wenn dieser die Stadt besuchte. Heute ist es im dortigen Frans-Hals-Museum zu sehen. Dieses Werk - es zeigt einen Mönch, der die bloße Brust einer Beghine drückt - wird aber auch als Porträt von Bruder Cornelis oder als Wunder von Haarlem beschrieben.
Die Vermutung, das Gemälde stelle Broer (= Klosterbruder) Cornelis mit einer seiner Anhängerinnen dar, wurde schon in einer Beschreibung des Prinsenhofes Mitte des 18. Jh. geäußert. Auch einer der besten heutigen Kenner der Arbeiten des Cornelis Cornelissen, der Holländer Pieter van Thiel, äußerte 1985 in seiner letzten Stellungnahme hierzu, er fühle sich sicher, dass das Gemälde Broer Cornelis darstelle.

Ausschweifender Inquisitor oder schwangere Nonne?
Der Franziskanermönch Broer Cornelis, der von 1521 bis 1581 lebte, war sowohl gelehrter Theologe wie volkstümlicher Prediger; u. a. war er für die Spanier als Inquisitor in Brügge tätig. Er hatte sich offenbar eine Anzahl Feinde gemacht. In zwei Büchern wurden ihm üble Praktiken vorgeworfen, so würde er seinen Anhängerinnen mit einer Peitsche den Hintern versohlen. Man machte sich damals in Bildern und Drucken über ihn lustig.
Danach wäre das Gemälde eine Art Satire auf das (katholische) Klosterleben der damaligen Zeit. In einem Museumskatalog von 1872 wird dagegen vermutet, das Bild stelle das "Haarlemse Wonder" dar. Nach dieser alten Legende war eine Nonne beschuldigt worden, schwanger zu sein. Ein Mönch sollte dies nachprüfen, indem er ihre Brust presste. Floss Milch heraus, war dies der Beweis ihrer Schwangerschaft. Aber siehe da, aus der Brust floss Wein, womit die Unschuld der Nonne sowie ihr großer Glaube bewiesen waren.
Die Verfasserin des neuesten Werkes über Cornelis Cornelissen, die Amerikanerin Julie L. McGEE, hat Schwierigkeiten mit beiden Deutungen und bietet unter Hinweis auf zwei seiner anderen Bilder, nämlich das Gemälde Venus und Adonis sowie den von Lucas Kilian ausgeführten Kupferstich Gelt Du Bist Mir Liebeine dritte mögliche Erklärung an, nämlich eine Art Allegorie: Ein Test der geistlichen Liebe oder des Glaubens im Gegensatz zur unerlaubten Liebe. Sie erklärt dies vor allem mit der friedfertigen Haltung und dem himmelwärts gerichteten Blick der Nonne, die an Abbildungen von Maria Magdalena erinnern.

Der Betrachter mag selbst entscheiden, welche Deutung er für die wahrscheinlichere hält. Vielleicht gibt es noch weitere Möglichkeiten.

Auch als Architekt tätig
Zu den bekanntesten Bauwerken des schönen Haarlem zählt "de Waag", die frühere städtische Waage. Sie wurde zwischen 1595 und 1598 im Stil des italienischen Klassizismus erbaut und liegt am Wasserlauf und früheren Hafen Spaarne, unweit vom Stadtzentrum. Heute befindet sich im Erdgeschoß ein gepflegtes kleines Restaurant. An der Decke hängen noch vier unterschiedlich große, eiserne Waagebalken, mit denen früher die dort angelandeten oder verschifften Waren gewogen wurden.


"de Waag" in Haarlem,
wahrscheinlich von Cornelis Cornelissen entworfen.



Die Pläne für dieses Gebäude werden, wenn auch nicht unbestritten, Cornelis Cornelissen zugeschrieben. Es existiert noch eine Rechnung der Haarlemer Stadtkasse aus dem Jahre 1596, wonach einem "meester willem thybaut", der als Glasschneider und Zeichner einen Namen hatte, 6 Pfund und dem "meester cornelis cornelisz schilder" (= Maler) 18 Pfund für Pläne oder Zeichnungen zum Bau der Stadtwaage gezahlt werden.
Sonst ist aber nichts über eine Tätigkeit von Cornelis in Sachen Architektur bekannt. In den meisten seiner Werke zeigt er daran auch kein gesteigertes Interesse. Allerdings sind in zwei seiner Werke, nämlich dem "Kindermord von Bethlehem" und in der Vorlage für den Kupferstich von Jan Muller "Der Kampf zwischen Odysseus und Irus" Bauwerke im klassischen Stil zu sehen.
Da Cornelis nie in Italien war, hat er sich wohl von Skizzen oder Zeichnungen anderer inspirieren lassen und dann diese Bauwerke und anscheinend auch die "Waage" in Haarlem entworfen.

Der Cornelissteeg könnte an ihn erinnern
Wer in Haarlem auf den Spuren des Cornelis Cornelissen van Haarlem wandeln möchte, wird enttäuscht. Obwohl weltweit vielen die Stadt nur durch diesen Maler bekannt sein dürfte, der sich selbst schon nach seiner Heimatstadt benannte, erinnert in Haarlem kaum etwas an ihn. Vielleicht liegt es daran, dass in den Mauern dieser Stadt so viele große Maler wirkten – alle überstrahlt von Frans Hals, der allerdings lange Zeit fast vergessen war.
Im Frans-Hals-Museum sind zwar einige der größten Werke von Cornelis ausgestellt, sucht man jedoch nach einer Broschüre oder nach speziellen Hinweisen über Cornelis, findet man nichts. In der Groten oder St. Bavo Kerk, der Hauptkirche von Haarlem, in der Cornelis beigesetzt sein soll, wusste man nichts über sein Grab.
Allerdings liegt ganz in der Nähe des Franz-Hals-Museums, das in einem stilvollen "Altmännerhaus" aus dem Jahre 1610 untergebracht ist, ein anscheinend im Rahmen der Altstadtsanierung nett hergerichtetes Sträßchen, das sich Cornelissteeg (steeg = Gasse) nennt. Der Name soll, wie auf Befragen zu hören war, an Cornelis von Haarlem erinnern.
Dies wäre immerhin etwas für einen so bekannten Sohn der Stadt. Aber selbst das ist fraglich. In dem 2002 erschienenen Werk Der Untergang der Batavia von Mike DASH spielt ein ganzer Abschnitt im Cornelissteeg. (gegen Ende von Kapitel 9). Offenbar handelt es sich um dieselbe Gasse, die damals, um 1629 , bereits unter diesem Namen existierte und überwiegend von kleinen Handwerkern bewohnt war. Belijtgen Cornelisz, Frau des Jeronimus Cornelisz, der Hauptperson in der "blutigsten Meuterei der Seegeschichte", zog in diese eher ärmliche Gasse, als das Ehepaar seine Apotheke in der Grote Houtstraat (= Große Holzstraße) aufgeben musste und Ehemann Cornelisz sich auf der Suche nach neuem Erwerb auf einen Ostindiensegler einschiffte. Damals war Haarlem die bedeutendste Stadt der Niederlande nach Amsterdam und hatte etwa 40.000 Einwohner.
Nach den Ausführungen in dem Buch zu urteilen, dürfte es eher unwahrscheinlich sein, dass die Gasse nach dem Maler Cornelissen benannt war, sondern nach einem Cornelis, den wir nicht kennen.

Viele seiner Werke in deutschen Museen
Da in früheren Jahrhunderten die Werke des Cornelis Cornelissen van Haarlem hohes Ansehen genossen, bemühten sich überall die großen Museen, zumindest eines seiner Bilder in ihrem Besitz zu haben. Dies galt auch für Deutschland, wenn auch wohl zunächst nicht mit großem Erfolg. So schrieb noch 1829 die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste zum Stichwort Cornelis: "Die vielen Bestellungen seiner Landsleute, für die er nur allein zu malen schien, sind Ursache, daß man in Teutschland selten eine Malerei von ihm findet." Dies hat sich aber inzwischen geändert. Heute lässt sich in deutschen Museen laut Katalogen eine stattliche Anzahl seiner Werke finden:

Berlin (Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett):
- Diana entdeckt die Schwangerschaft Callistos, gestochen von Jacob Matham
- Fortuna verteilt ihre Geschenke, gestochen von Jan Muller, 1590
- Antrum Platonicum, gestochen von Jan Saenredam, 1604
- Arion auf dem Delphin, gestochen von Harmen/Jan Muller
- Singendes Paar, gestochen von Jeremias Falck
- Zwei Ringer, gestochen von Jan Muller
- Vertumnus und Pomona, gestochen von Jan Saenredam, 1605

(Bode-Museum):
- Bathseba im Bade, 1617

(Jagdschloß Grunewald):
- Garten der Liebe/Das Goldene Zeitalter, 1596
- Jupiter

(Gemäldegalerie Berlin):
- Herkules und Achelous, 1590
- Entdeckung der Schwangerschaft Callistos, Kopie

Braunschweig (Herzog Anton Ulrich-Museum):
- Menschheit vor der Sintflut, 1592
- Demokrit und Heraklit, 1613
- Venus und Amor

Coburg (Kunstsammlungen der Veste Coburg):
- Gelt Du bist mir lieb, gestochen von Lucas Kilian

Darmstadt (Hessisches Landesmuseum):
- Die schamlose Schlange, 1597

Dresden (Gemäldegalerie Alte Meister):
- Venus, Bacchus und Ceres, 1614
- Der Fall Adams oder Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis
(zweifelhaft, ob von Cornelissen stammend)
- Die schwierige Wahl/Greis mit Börse und junges Mädchen/Eine Frau zwischen zwei Männern am Tisch, 1594
- Der Drache und die Gefährten des Cadmus
(Die beiden letzteren Werke befinden sich aus Platzgründen seit Rückkehr der Sammlung aus der früheren UdSSR im Depot)

Göttingen (Kunstsammlung der Georg-August-Universität):
- Singendes Paar

Hamburg (Kunsthalle):
- Adam und Eva, 1622

Hannover (Niedersächsisches Landesmuseum):
- Weibliche Halbfigur mit Rose, 1623

Karlsruhe (Staatliche Kunsthalle):
- Taufe Christi
- Die Heilige Familie und St. Elisabeth, circa 1590

Kassel (Gemäldegalerie Alte Meister):
- Raub der Proserpina, Entwurf für Deckenbild
München
- Christus und die Kinder
(Schleißheim):
- Jupiter und Merkur reißen einer Nymphe die Zunge aus

Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum):
- Susanna und die Alten

Oldenburg (Landesmuseum):
- Menschheit vor der Sintflut, 1592

Pommersfelden, Kreis Bamberg (Graf von Schönbornīsche Schloßverwaltung):
- Neun nackte spielende Kinder
- Hochzeit von Peleus und Thetis, 1612
- Sechs nackte badende Mädchen

Potsdam (Sanssouci Bildergalerie):
- Der Verlorene Sohn/Allegorie der Mäßigung, 1632

Schwerin
- Maria und der Leichnam Christi

Auch Museen im Ausland besitzen Werke von ihm. Im Budapester Museum der schönen Künste sind zwei davon zu sehen: Das Urteil des Paris (angekauft 1917) und Jupiter und Merkur strafen die Nymphe Lara (angekauft1886).
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