Cornelier am Ursprung der Katakomben
Einer der mächtigsten Folianten deutscher Sprache über die Stadt Rom ist das Werk Roma - Die Denkmale des heidnischen, unterirdischen, neuen Rom in Wort und Bild von Dr. P. Albert KUHN, Professor der Ästhetik und klassischen Literatur, 1912 in 7. umgearbeiteter Auflage erschienen. Danach sind die Katakomben aus Familiengräbern entstanden, die vornehmen und berühmten Geschlechtern gehörten. Zu den "stolzesten und edelsten Namen Roms" zählt er den der Cornelier. Die ersten christlichen Katakomben würden "mit aller Bestimmtheit" auf die Cornelier und Cäcilier zurückweisen, die zu den "ersten Anhängern und treuesten Schülern des heiligen Petrus" zählten.
Da sich das Werk derart lobend über die ursprünglichen Träger des Namens Cornelius/Cornelissen ausspricht, seien die entsprechenden Passagen wörtlich wiedergegeben:
"Zwei erlauchte Geschlechter zeichnen sich in der Geschichte des heidnischen Rom vor andern aus, die Cornelier und Cäcilier; sie gaben dem alten Rom die herrlichsten Helden, die erhabensten Beispiele der Vaterlandsliebe, des Mutes, der Bürgertugend. Gerade diese Namen, diese stolzesten und edelsten Namen Roms sind es, welchen wir in der Urgeschichte des Christentums in Rom begegnen, welche wir auf den ältesten christlichen Denkmalen Roms lesen, auf welche endlich mit aller Bestimmtheit die Anlage der ersten christlichen Katakomben zurückweist, die Katakomben der heiligen Priscilla, der heiligen Lucina, des heiligen Callistus usf. Diese reichen Neubekehrten legten, wie ihre heidnischen Mitbürger, in der Nähe der großen Heerstraßen auf eigenem Grund und Boden auf ihren Namen hin die Grabstätten an, welche sich in der Folge zu den großen christlichen Familiengrüften entwickelten, zu den Familiengrüften in der weitesten, aber schönsten Bedeutung, in dem der ärmste Sklave Roms, sobald er durch die heilige Taufe zur Freiheit der Kinder Gottes gelangt war, ein Bruder und Familienglied der Cornelier und Cäcilier geworden und neben ihnen im Tode ruhen durfte."

Petrus starb an der Cornelischen Straße
Wie heute wohl allgemein angenommen wird, fand der Kreuzigungstod, den der Apostel Petrus im Jahre 67 erlitt, im Zirkus des Kaisers Caligula statt. Dieser lag an einer der großen Heerstraßen, die von Rom aus in alle Richtungen gingen, und zwar an der Via Cornelia oder der "Cornelischen Straße". Sie verlief von der Porta Cornelia, dem "Cornelischen Tor", das in der Nähe der heutigen Engelsbrücke stand, in westlicher Richtung. Wie damals üblich, befanden sich auch an dieser Heerstraße zu beiden Seiten Grabdenkmale.
Nach seiner Kreuzigung wurde Petrus in der Nähe seiner Todesstätte begraben. Daraufhin suchten sich auch andere Christen diesen Ort als Grabstätte aus, so dass sich ein christlicher, oberirdischer Friedhof bildete. Dort entstand dann später der Vatikan; über dem Grab des Apostels wurde die Petruskirche errichtet.
Das oben zitierte Werk von Professor Kuhn über die Denkmale Roms widmet diesen Vorgängen ein ganzes Kapitel unter der Überschrift: "Die Gräber der Apostelfürsten an der Cornelischen und Ostiensischen Straße."


Als Legionskommandeure und Statthalter in Deutschland
Bei der großen Verbreitung und dem Ansehen der gens Cornelia, des Geschlechts der Cornelier, verwundert es nicht, dass Vertreter von ihnen auch bei den im heutigen Deutschland stationierten Truppen an höchsten Stellen Dienst taten. In dem Werk Die Römer in Nordrhein-Westfalen von Heinz Günter HORN, 1987, werden folgende Namen genannt:
Im Jahre 68 n. Chr. war Q. Cornelius Aquinus Chef der 5. Legion (legio V alaudae) im heutigen Xanten (Vetera) und vermutlich L. Cornelius Pusio Legionskommandeur der 16. Legion im heutigen Neuß. Etwas später zur Zeit Kaiser Trajans (98–117) war Cornelius Priscus Kommandeur der 1. Legion (legio I Minervia) im heutigen Bonn.
Cn. Pinarius Cornelius Clemens war in den Jahren 72–74 n. Chr. Statthalter für Obergermanien und baute eine Straße vom Legionslager Straßburg bis an die obere Donau in Rätien, um durch diese Direktverbindung die Grenze zu verkürzen und besser sichern zu können.

Cornelius Labeo - heidnischer Theologe des 3. Jahrh.
Man findet zwar den Namen Cornelius Labeo nur selten in einem Lexikon, offenbar spielte aber dieser römische Gelehrte in den theologischen Auseinandersetzungen der Spätantike und des frühen Christentums eine erhebliche Rolle. In Theodor KLAUSERS Reallexikon für Antike und Christentum, 1957, wird er kurz skizziert als "römischer Antiquar und Theologe von Rang". Seine mangelnde Bekanntheit mag sich auch daraus erklären, dass das Wissen über ihn sehr dürftig ist. Seine Werke sind nämlich nicht mehr erhalten, nur Fragmente hieraus, die von anderen Schriftstellern zitiert wurden, u. a. vom Kirchenvater Augustinus (354–430). Gelebt hat Cornelius Labeo in der Mitte oder 2. Hälfte des 3. Jahrh. n. Chr. Teil seiner noch heidnischen Lehren ist, dass er zwischen guten und bösen Gottheiten (numina bona und mala) unterscheidet: Den guten Göttern muss man opfern, damit sie helfen, den bösen, damit sie nicht schaden.
In der Legenda aurea (1263–1273), der populärsten Heiligendarstellung des Mittelalters, wird bei der Lebensbeschreibung des Kirchenvaters Augustinus (354–430) ein Philosoph namens Cornelius erwähnt, mit dem offenbar Cornelius Labeo gemeint war. Die betreffende Stelle lautet, es habe Augustinus einst ein böser Zahnschmerz angefallen, "also daß er fast dazu kam, die Meinung des Philosophen Cornelius zu teilen, der das höchste Gut des Geistes in die Weisheit setzt, das höchste Gut des Leibes aber darein, keinen Schmerz zu fühlen".
Die Bedeutung des Cornelius Labeo war jedenfalls so groß, dass das vorzitierte Reallexikon für Antike und Christentum ihm volle acht Spalten im DIN A 4-Format widmet. Nach den Literaturangaben dort war er Gegenstand von allein vier Doktorarbeiten an deutschen Universitäten; sie wurden allerdings alle bereits vor dem 1. Weltkrieg verfasst.

Cornelia aus dem Geschlecht der Corneli/Cornaro
Nach Cornelius Labeo, der noch der Antike zuzurechnen ist, tauchen erst viele Hundert Jahre später in Italien wieder bedeutende Namen mit Cornelius auf. Unter ihnen ragt eine gelehrte Frau des 17. Jahrh. hervor, nämlich Cornelia aus dem Geschlecht der Corneli oder Carnaro. Sie wird in einem Gelehrten-Lexikon aus dem Jahre 1750 ausführlich behandelt. Um die Ausführungen dort richtig zu würdigen, zunächst der volle Titel dieses Werkes:
Allgemeine Gelehrten=Lexikon,
Darinne die Gelehrten aller Stände sowohl männ= als weiblichen Geschlechts, welche vom Anfange der Welt bis auf ietzige Zeit gelebt, und sich der gelehrten Welt bekannt gemacht, Nach ihrer Geburt, Leben, merckwürdigen Geschichten, Absterben und Schrifften aus den glaubwürdigsten Scribenten in alphabetischer Ordnung beschrieben werden. Erster Theil A---C heraus gegeben von Christian Gottlieb Jöcher, der H. Schrifft Doctore, und der Geschichte öffentlichem Lehrer auf der hohen Schule zu Leipzig.
MDCCL
Zur Cornelia heißt es:
Cornelia, oder Cornara Piscopia, (Helena Lucretia), des Jo. Baptistae aus dem Geschlecht derer Corneli oder Cornaro, von dem Stamm=Gute Piscopi genannt, Procuratoren von St. Marco zu Venedig, Tochter, gebohren 1646, den 5 Junii, wurde wegen ihres guten Naturells im 7 Jahre den Studiis gewidmet, erlernte Lateinisch, Hebräisch, Arabisch, Spanisch, Frantzösisch, und sonderlich Griechisch so fertig, daß sie diese Sprachen meist reden konte. Im 11. Jahre that sie das Votum Castitatis, und begab sich, ob sie wohl vom Pabste Erlaubniß erhielte zu heyrathen, unter die Nonnen Benedictiner=Ordens, nahm den Nahmen Scholastica an, wurde darauf zu Padua öffentlich, nachdem sie ihre Lection gehalten, zur Magistra Philos. creiret, und in viel italiänische Academien aufgenommen. Sie war auch willens die höchste Würde in der Theologie anzunehmen, welches aber der Cardinal Barbarigo, damahliger Bischoff zu Padua verhinderte; worauf sie allerhand Reden gehalten, welche nebst ihren recitationibus academicis, Inscriptionibus oder Elogiis, Briefen und andern, zusammen von Benedicto Bacchino zu Parma in 8, 1688 nebst ihrer von ihm verfertigten Lebens=Beschreibung, heraus gegeben worden. Sie starb von einer Pest=Beule den 26 Jul. 1684, im 38 Jahre. AE.
(Im Original tragen die Umlaute ä, ö, ü statt der heutigen Strichelchen noch jeweils ein kleines e)

In Zedler’s Universal-Lexikon von 1733, das also schon 17 Jahre früher erschienen ist, wird Cornelia noch weit ausführlicher gewürdigt. Dort ist auch ein bemerkenswerter Hinweis auf ihre Herkunft zu lesen:
Ihre Mutter soll eines Gondeliers Tochter gewesen seyn, die der Cornaro lange Zeit unterhalten, und sie endlich aus Liebe zu denen mit ihr erzeugten Kindern geheurathet, auch damit der Mutter geringe Ankunfft denenselben nicht nachtheilig seyn mögte, ein grosse Geld=Summe erlegt.




Marmorstatue der Dr. phil. Cornelia Piscopia (1646–1684) im Treppenaufgang der Universität Padua. Sie wird gerade vom Verfasser fotografiert, März 1996.





Weltweit erste Frau mit Doktortitel
Ihre lebensgroße Marmorstatue steht heute im Treppenaufgang des altehrwürdigen Universitätsgebäudes von Padua in Italien. Die Inschrift auf dem Sockel beginnt mit den lateinischen Worten: STATUAM. HELENAE. LUCRETIAE. CORNELIAE. PISCOPIAE. LAUREA PHILOSOPH.
(= Statue der Helena Lucretia Cornelia Piscopia, Doctor der Philosophie) Auf einem nebenstehenden Plakat der Universität war 1996 in Italienisch und Englisch zu lesen:
Elena Lucrezia Cornaro Piscopia gilt als die erste Frau mit einem Doktortitel in der Welt; im Jahre 1678 erlangte sie den Doktor der Philosophie.
(In Deutschland erlangte erst 1754 mit Dorothea Erxleben eine Frau den Doktortitel, und zwar an der Universität Halle.)
Die von Bernardo Tabacco gefertigte Statue war Teil des Grabmals, das bis ins frühe 18. Jahrh. in der Antonius-Basilika stand.

Auch zwei Dogen gestellt
Laut Meyer’s Konversations-Lexikon von 1863 waren die Cornaros eine der angesehensten Familien Venedigs. Sie leiteten ihren Ursprung von den römischen Corneliern her. Das Lexikon behandelt vier Mitglieder der Familie:
– Catarina, 1454 in Venedig geboren, die sich mit dem König von Zypern vermählte,
– Luigi, 1467 in Venedig geboren, der "trotz eines ausschweifenden Jugendlebens durch spätere große Mäßigkeit sein Leben auf 100 Jahre brachte und sein makrobiotisches Geheimniß in der Schrift: Discorsi della vita sobria veröffentlichte". Das in viele Sprachen übersetzte Werk erschien in Deutschland zuletzt 1796 unter dem Titel: L. Cornaro’s erprobte Mittel, gesund und lange zu leben.
– Giovanni I. und II., die Dogen von Venedig waren, und zwar von 1625–1629 bzw. von 1709 an.

Zahlreiche Cornelius/Cornelio zum Beginn der Neuzeit
Im Übrigen verzeichnet das Gelehrten-Lexikon von 1750 an Personen mit dem Namensstamm Corn fünf (spanische) Cornejo, eine Cornelia, nämlich die bereits weiter vorn beschriebene "Mutter der Gracchen", jeweils einen Cornelii, de Cornelio, Cornelisson und 20 (!) Cornelius.

In Italien war anscheinend zum Ausgang des Mittelalters bzw. zum Beginn der Neuzeit der Name Cornelio nicht selten, vielleicht sogar häufig. Wie weit er sich aus der Antike erhalten hat oder auf die Verehrung eines heiligen Cornelius zurückgeht, ist mangels Quellen schwer nachzuverfolgen. Der Index Bio-Bibliographicus notorum hominum (= Bio-bibliografisches Verzeichnis bekannter Persönlichkeiten) von Jean-Pierre LOBIES und Denise MASSON-STEINBERT (Osnabrück 1987), das wohl umfangreichste Quellenverzeichnis, führt über 20 Persönlichkeiten namens Cornelio aus dem 15. bis 17. Jahrh. in Italien auf, darunter den 1479 gestorbenen Marco oder Marcus Cornelio, venezianischer Senator; einen Kardinal Francesco Cornelio (1478–1543); Andrea Cornelio (1511–1551) Bischof von Brescia; Cornelius da Urbino (1524–1603), Kapuziner und Schriftsteller; Cornelio da Recanati (1559–1632), Kapuziner, Schriftsteller und Generalkommissar von Savoyen; Marcello Cornelio, einen 1582 gestorbenen Historiker und Dichter aus Kalabrien; den in Neapel tätigen Arzt, Mathematiker und Philosoph Tommaso Cornelio (1614–1684). Dann gab es einen Marco Cornelio, der von 1482 bis 1524 Patriarch von Konstantinopel war. Wie viele "einfache" Leute dieses Namens es damals schon oder noch gab, scheint nicht bekannt zu sein.

Erzbischöfe in drei Generationen
Auf zwei der vorgenannten Personen, Kardinal Francesco Cornelio und seinen Enkel Andrea Cornelio, Bischof von Brescia, geht Zedler’s Universal-Lexikon von 1733 näher einen; eine Art Sittengemälde der damaligen kirchlichen Würdenträger Italiens:
Cornelius, (Andreas), ein Enckel des hernachstehenden Francisci, erhielte durch dessen Cession A. 1532 das Bischoffthum Brescia, als er erst 23 Jahr alt, und Apostolischer Cammer=Clericus war. Paulus III. macht ihn A. 1544 zum Cardinal, und wie sein Vater gleiches Namens das Ertzbißthum Spalatro mit samt dem Leben quittirte, succedirte er demselben, starb aber A. 1551 zu Rom in seinen besten Jahren.
(A.= anno = im Jahre)

Über seinen Großvater heißt es bei Zedler:
Cornelius, (Franciscus), ein Venetianer, war ein Sohn Georgii und Elisabethae Maurocenae, ein Bruder Andreae, Ertz=Bischoffs von Spalatro, wie auch ein Enckel der Königin von Cypern, Catharinae Corneliae. Er ist der erste seines Geschlechts gewesen, welcher die Cardinals-Würde erlanget, darzu er A. 1531 das Bißthum Brescia bekommen, welches er aber das Jahr darauf an den vorherstehenden Andream, seinen Enckel, abgetreten. Seine vielen Legationes, darunter sonderlich die an Kayser Carolum V. von gröster Wichtigkeit war, und die Wiederherstellung der Ruhe in Italien zum Endzweck hatte, halffen ihm nebst seinen grossen Verdiensten den Purpur zu wege bringen. Er starb zu Viterbo A. 1545.
Danach scheint es damals in Italien so gewesen zu sein, dass man sich Cornelio nannte, wenn man italienisch sprach oder schrieb, dagegen Cornelius, wenn Latein verwendet wurde, was damals zumindest im Schriftlichen noch häufig der Fall war.

Was hat Paracelsus mit den Corneliern zu tun?
Paracelsus (1493–1541), einer der berühmtesten - noch heute umstrittenen - Ärzte der beginnenden Neuzeit, der gegen die überkommene medizinische Lehre anging, hieß eigentlich Theophrastus Bombastus von Hohenheim. Den Namen Paracelsus legte er sich schon früh selbst zu. Die griechische Vorsilbe para bedeutet "über–hinaus, gegen, abweichend". Mit Celsus, voller Namen Aulus Cornelius Celsus, ist ein berühmter römischer Schriftsteller gemeint, der im 1. Jahrh. n. Chr. in Rom lebte und von dessen umfangreicher Enzyklopädie in 20 Teilen nur die acht Bücher über die Medizin erhalten sind. Wie es heißt, beruhte die hohe Qualifikation der römischen Ärzte, auf die man sich auch noch im Mittelalter berief, im Wesentlichen auf den medizinischen Schriften dieses Cornelius Celsus (um 25 n. Chr.) und eines anderen Arztes namens Galenus (ca. 129–199 n. Chr.). Ob Cornelius Celsus ein Angehöriger des Cornelius-Geschlechts war oder ein von einem Cornelier Freigelassener (vgl. weiter oben: "10.000 vom Corneliorum Collegium") lässt sich wohl wie in vielen anderen Fällen nicht feststellen.
Der Name Paracelsus bedeutet also etwa "über Celsus hinaus" oder "abweichend von Celsus". Anders als wir heute dürften die Ärzte des ausgehenden Mittelalters den Namen durchaus als eine Art Programm verstanden haben.
Weiter zum nächsten Kapitel: In Italien ein halbes Hundert "Corn"-Orte
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