Cornelius relegatus
Die Komödie vom "verbummelten Studenten"
Sollte der Name Cornelius durch Cornelius Agrippa noch nicht in ganz Deutschland bekannt gewesen sein, so geschah dies spätestens zu Beginn des 17. Jh., und zwar durch eine sehr erfolgreiche Komödie. Im Jahre 1600 wurde nämlich in Rostock beim Jubiläum der dortigen Universität (gegründet 1419) eine Komödie in fünf Akten uraufgeführt, bei der die Hauptfigur ein Student namens Cornelius ist. Cornelius war damals schon, wie im nächsten Kapitel Cornelius = Katzenjammer näher behandelt wird, der studentische Ausdruck für einen miserablen Gemütszustand. Das in neulateinischer Sprache abgefasste Werk von Albert Wichgräf oder Albertus WICHGREVIUS (1575–1619) trägt den nicht gerade kurzen Titel
CORNELIUS RELEGATUS
SIVE COMOEDIA NOVA FESTIVISSIME DEPINGENS VITAM PSEUDOSTUDIOSORUM
ET CONTINENS NONNULLOS RITUS ACADEMICOS
IN GERMANIA

(Der relegierte (= von der Hochschule verwiesene) Cornelius oder eine neue Komödie, die aufs glänzendste das Leben der Pseudostudenten beschreibt und einige akademische Bräuche in Deutschland enthält)




Titelblatt der 1601 in Rostock erschienenen 2. Auflage der Komödie Cornelius relegatus von Albert Wichgräf. Inzwischen per Mausklick zu lesen.





Bei der Besprechung des Stücks in Kindlers Neuem Literatur Lexikon (1992) heißt es eingangs: "Der Name Cornelius ist gleichbedeutend mit ’verbummelter Student’". Thema des Stückes sei "die unrühmliche, schließlich aber doch glücklich endende Laufbahn eines solchen jungen Mannes". Der Inhalt wird dort so angegeben:
"Cornelius wird an die Universität geschickt; der Vater warnt, das Liebchen weint, die Mutter ahnt im Traume Böses (Akt I). Die Akte 2—5 spielen an der Universität. Cornelius hat mancherlei Aufnahmerituale zu durchlaufen. Zunächst erfährt er die Deposition durch den Pedell Aurarius, die aus einem scherzhaften Examen, Zahnziehen und der symbolischen Behobelung des bis jetzt ungeschliffenen und ungebildeten Jünglings besteht. Danach wird er von einem Professor geprüft und durch den Rektor immatrikuliert. Nun beginnt das Lotterleben; das erste Saufgelage endet mit nächtlichem Unfug, dem die Verhaftung und Verurteilung Cornelius’ durch das Universitätsgericht folgt. Bevor das zweite Gelage beginnt, versammeln sich Gläubiger des Cornelius und verklagen ihn beim Rektor. Das Unglück bricht über den Sünder herein: Er wird auf zehn Jahre relegiert, ferner erfährt er, daß seine Eltern tot, er selbst enterbt sei und dass er überdies von nun an für ein gerade geborenes Söhnchen zu sorgen habe. Im letzten Akt erscheint dem Verzweifelten ein teuflischer Geist, der ihn auf einen von der Decke herabhängenden Strick hinweist. Als aber Cornelius sich aufhängen will, reißt er durch sein Gewicht ein Loch in die Decke, aus dem alsbald versteckte Geldsäcke herabfallen. Da ermannt er sich zu wahrer Besserung. Fürst Nestor - mit ihm ist wohl Herzog Ulrich von Güstrow gemeint — leistet Fürsprache, und der Rektor nimmt ihn daraufhin wieder in Gnaden in die Universität auf."
(Eine ganz ähnliche, aber detailliertere Darstellung erschien schon 1897 in der Allgemeinen Deutschen Biographie, 42. Band)
Das Stück war das einzige bedeutendere Werk des Autors und hatte zu seiner Zeit große Wirkung. Nach mehreren Ausgaben in Rostock folgte 1602 eine in Leipzig. Schon 1605 wurde die Komödie von Johann SOMMER in eine deutsche Fassung gebracht. Sie erschien in Magdeburg unter dem Titel:
Cornelius relegatus,
eine newe lustige Comoedia, welche gar artig der falschgenannten Studenten Leben beschreibet.

1618 wurde Sommers Fassung in Magdeburg neu aufgelegt. Nach Wichgrävs Muster schrieb ein J. G. Schoch 1657 eine Studentenkomödie.

Schon 1608/1618 erschien in Straßburg in mehreren Auflagen eine Kupferstichfolge des Künstlers Jacob VAN DER HEYDEN (1573–1645) unter dem Titel Speculum Cornelianum Pugillus facetiarum iconographicarum ... (= Cornelscher Spiegel. Ein handvoll drolliger Einfälle in Bildern ...) mit dem deutschen Zusatz "Allerhand Kurtzweilige Stücklein, allen Studenten furnemblich zu Lieb ...", die die wichtigsten Ereignisse aus der Cornelius-Komödie darstellten. 1879 erfolgte ein Nachdruck. 1624 erschien von dem Berliner Künstler Peter ROLLOS eine weitere Kupferstichfolge mit 58 Tafeln unter dem Titel Vita Corneliana emblematibus in aes aritificiose incisa ... (= Cornelsche Lebensbeschreibung mit kunstvoll in Kupfer geschnittenen Bildwerken) mit dem deutschen Zusatz: "das ist das gantze Leben Cornelii, mit ausserlesenen gemelten in Kupfer gestochen ..."

Das Cornelius-Thema war damals deutschlandweit so populär, dass es 1615 in der Akademie von Altdorf bei Nürnberg auf einer Preismedaille für besondere Leistungen dargestellt wurde (im Germanischen Museum in Nürnberg).


Der verzweifelte Cornelius in seiner Studentenstube. Laute, Bierkrug, Weinglas, Würfelspiel und Ballschläger liegen am Boden, sein (uneheliches) Kind wird ihm herein gebracht, während der Pedell die Vorladung zum Rektor an die Türe schreibt. Eines der Kupferstiche aus dem Speculum Cornelianum von 1608/1618 (Exemplar der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel). Rechts unter dem Bild heißt es: "Cornelius bin ich genant, Allen Studenten wollbekant."


Cor Cordis Cordi Cor Corde
Die Beschreibung der vorerwähnten Preismedaille mit dem Cornelius-Thema stammt nicht etwa von einem Deutschen, sondern von einem Engländer, von Frederick J. STOPP. In einem Sonderband des literaturwissenschaftlichen Jahrbuchs Sprache und Bekenntnis (Hermann Kunisch zum 70. Geburtstag), 1971, ist ein Beitrag von ihm in englischer Sprache WICHGREVIUS AND THE SPECULUM CORNELIANUM abgedruckt. Darin setzt sich Stopp eingehend mit den Kupferstichen auseinander, die zum Cornelius relegatus erschienen sind. Dort ist auch das hier gezeigte Bild mit dem verzweifelten Cornelius wiedergegeben. Stopp macht in seinem Beitrag auf eine besonders reizvolle Kuriosität aufmerksam, nämlich auf ein lateinisches Wortspiel mit Cornelius. Es findet sich unter einer 1624 erschienenen Version der Vita Corneliana von Peter Rollos mit einem ähnlichen Bild wie hier aus van der Heydens Speculum Cornelianum. Bei Rollos heißt die Bildunterschrift nicht "Cornelius bin ich genant, allen studenten wollbekant", sondern:
Omnis Cornelium me dicit turba: nec abs re;
Anné ego Cor Cordis Cordi Cor Corde ministros?

Die 1. Zeile ist dem Sinne nach ähnlich. Die Übersetzung der 2. Zeile macht Schwierigkeiten (es werden alle fünf Fälle von cor = Herz durchdekliniert, vom Nominativ bis zum Ablativ). Stopp schreibt, der Sinn sei folgender:
"All the world calls me Cornelius: and this is right enough;
should I (in my turn) perhaps say that I make all hearts my own?"
Er merkt aber an, dass er sich für die Entwirrung dieses Wortspiels die Hilfe von Experten einholen musste.

Inzwischen digitalisiert
Was der Verfasser vor Jahren erst nach längeren Recherchen und gewissen Mühen über den Cornelius Relegatus ausfindig machen konnte, ist inzwischen dank Scan und Internet jedermann und jederzeit quasi im Original verfügbar. In Wikipedia wird unter "Universität Rostock" im geschichtlichen Abriss auf die Komödie verwiesen — sogar mit Bild. Vor allem aber gibt es einen eigenen Wikipedia-Artikel "Cornelius Relegatus", der neben Angaben zu neuerer Literatur einen Weblink zu dem inzwischen von der Universität Mannheim digitalisierten Werk enthält. Die obenstehende Fotokopie des Titelblatts, die der Verfasser einstmals im Rara-Lesesaal der altehrwürdigen Staatsbibliothek zu Berlin Unter den Linden anfertigen ließ, ist heute als Scan des Originals von 1601 mit allen folgenden Seiten per Mausklick zu "lesen" (falls man so fortgeschritten in der neulateinischen Sprache ist).

Ein Schnapsname
Auch eine bekannte Kornmarke heißt Kornelius. Hergestellt wird sie von der Kornelius-Brennerei in Norderstedt-Stonsdorf bei Hamburg, aus deren Haus auch der bekannte Magenbitter "Echt Stonsdorfer" stammt. Er wird vertrieben mit dem Slogan:
Kornelius aus Vollkorn
kernig körnig kräftig
Nomen est omen. Geschäftsführer des deutschen Kornbrennerverbandes war für viele Jahre ein Cornelissen, nämlich der Verfasser. Man hatte ihm schon häufiger geraten, seinen Namen mit K zu schreiben.
Im Übrigen wird den männlichen Vertreten dieses Cornelissen-Stammes nachgesagt, und zwar vom Großvater bis zum Urenkel, sie hätten immer eine besondere Wertschätzung für einen Korn, für ihr "Schnäpsken" gezeigt.
Und führt nicht auch der Namensheilige der Cornelissen, dem man doch nacheifern sollte, als Symbol ein Trinkhorn?!


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