Im 16.–18. Jahrhundert:
Cornelius = Katzenjammer
Es ist schon erstaunlich, was nicht alles mit dem Namen Cornelius zusammenhängt: Der verbummelte Student in der Erfolgskomödie des frühen 17. Jh. hieß nicht von ungefähr Cornelius. Es gab bereits früher, und zwar mindestens seit dem Ende des 16. Jahrh. vor allem im Studentenmilieu den Ausdruck "Cornelius haben" für den Zustand des Katzenjammers. Der Begriff war aber außer Übung gekommen, so dass sich bereits im 19. Jh. ein Sprachgelehrter genötigt sah, ihn der Vergessenheit zu entreißen.

Sprachgeschichtlicher Leckerbissen
Dabei handelte es sich geradezu um einen sprachgeschichtlichen Leckerbissen, der allerdings den Nachteil hat, dass zu seiner vollen Wertschätzung erhebliche Lateinkenntnisse erforderlich sind.
Es existiert hierzu eine 11-seitige Abhandlung von einem Reinhold KÖHLER, die 1869 unter dem Titel
Cornelius, eine Ergänzung zum Deutschen Wörterbuche
erschien.
(Zunächst veröffentlicht in der Zeitschrift für deutsche Philologie, später auch in den Kleineren Schriften zur neueren Litteraturgeschichte, Volkskunde und Wortforschung von Reinhold Köhler, Berlin 1900, Herausgeber Johannes Bolte. Ein Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin.)

Köhler weist darin auf einen eigentümlichen Gebrauch des Wortes Cornelius hin, der vom letzten Viertel des 16. Jh. bis ins 18. Jh. währte und anscheinend schon damals vielen Sprachforschern nicht mehr bekannt war. Cornelius war - wie Köhler es ausdrückt - "gleichbedeutend mit übler Laune, Unmut, Verstimmung, ganz besonders auch so viel wie Reue, Scham, Gewissensbisse. Er schließt zugleich alles ein, was wir heutzutage mit Katzenjammer bezeichnen, sowohl den physischen als den moralischen".

Nach Köhlers Forschungen gibt es zwei lateinisch abgefasste, komische Disputationen (= gelehrte Streitgespräche, Abhandlungen), die speziell von Cornelius handeln. Die älteste ist 1627 erschienen und trägt einen langen Titel, der mit den Worten beginnt:
Disputatio de Cornelio Et Ejusdem Natura ac Proprietate.
(= Abhandlung über Cornelius und dessen Natur und Eigentümlichkeit)
Sie erschien erneut 1642 und 1645. In den darin aufgestellten 41 Thesen heißt es z. B., dass Ursache des Cornelius gekränkte Eitelkeit (These 17), eine böse Frau ebenso wie ein in Nichtstun und Liederlichkeit verbrachtes akademisches Leben (These 18) oder Geiz (These 19) sein können. Mehrfach werden in der Disputation die mit dem Cornelius Behafteten als Corneliosi bezeichnet. In einer Anmerkung zur Disputation heißt es: "Falsum est quod vulgus dicitur, nos habere Cornelium. Nos enim Cornelium non habemus, sed Cornelius nos habet" (= Falsch ist, was allenthalben gesagt wird, dass wir den Cornelius haben. Denn nicht wir haben den Cornelius, sondern der Cornelius hat uns).

Die zweite Disputation über Cornelius stammt anscheinend schon aus der Zeit um 1593 und umfasst 16 Thesen. Der ebenfalls lange Titel beginnt mit den Worten:
Theses de Curnelio bestia crudeli et noxia.
(= Thesen über Curnelio, ein grausames und schädliches Tier)
Auch darin werden Ursachen und Art dieses unangenehmen Zustandes namens ornelius dargestellt.

Viele Erwähnungen in der frühen Literatur
Köhler zitiert darüber hinaus eine Anzahl weiterer Stellen aus lateinischen und deutschen Schriften, in denen der Cornelius erwähnt ist. Hieraus einige Beispiele (die unterstrichenen Stellen sind bei Köhler gesperrt gedruckt):
"Lieben und nicht geliebt werden bringt den Cornelium Corneliorum"
(Aus: Sätze von der Leffelei ..., 1593)

"Er dünkt mir sein vol zorn und grim.
Gwiss hat er einn Cornelium."
(Aus: Ioa. Segerus, Weynachtsfreud, Greifswald 1613)

"Wie kömpts, dass du so betrübt stehest? Hastu den Cornelium? Ja, freilich hab ich den Cornelium, aber deinenthalben, dass du so frech und wild bist."
(Aus : Englische Comedien und Tragedien, 1624)

"Meine Augen sahen jetzt rot und triefend aus wie eines achtzigjährigen Weibes, das den Cornelium hat".

Diess geschahe nun zum öftern, bis endlich mein Beutel ziemlich abzunehmen begunte, und Herr Cornelius sich anfieng bei mir einzufinden
(Beide Stellen aus: Simplicissimus, herausgeg. von Keller)
1618 erschien in Straßburg, unmittelbar angeregt durch die Komödie Cornelius Relegatus, von dem Kupferstecher J. v. d. Heyden das Speculum Cornelinum, in sich haltend vielartiger Figuren betreffend das Leben eines vermeynden Studenten. In einer 1638 in London veröffentlichten lateinischen Prosakomödie von "T.R." mit dem Titel Cornelianum dolium hieß der Held Cornelius.

Schon mal "cornelisirt?"
Es hatte sich sogar ein Verb gebildet für den Zustand, wenn man den Cornelius hatte, nämlich cornelisiren. So hieß es 1605 in der Übertragung des Cornelius relegatus von Sommer:
"Drei creditoren kommen zu hauf
und seiner Kleider ihn spolirn,
das macht ihn recht Cornelisirn."
(creditoren = Gläubiger, spoliren = ausziehen)

Wie es zu der besonderen Bedeutung von Cornelius gekommen ist, weiß auch Köhler in seiner Abhandlung nicht zu erklären. Möglicherweise gab es einen Bezug auf den römischen Schriftsteller Cornelius Tacitus, möglicherweise hat es mit Tierhörnern zu tun, die laut einem um 1480 entstandenen Manuale scholarium die Studenten bei bestimmten Gebräuchen trugen.
(Hier scheint noch Stoff für eine ganze Doktorarbeit zu liegen; Voraussetzung sind allerdings sehr gute Kenntnisse des Neulateinischen.)

"Das oft genandt Cornelius"
Auszug aus einer 1627 veröffentlichten Schrift mit dem Titel
Crucianus oder Studenten-Cornelius in einem teutschen colloquio
über den so genannten Cornelius, heute wohl am besten mit Katzenjammer zu beschreiben:
Der gute Wein, bey finster Nacht
Gassatum gan, der Kleider Pracht,
Die Lieb zun Weibern toll und blind
Manchen allein die Ursach sind,
Das offt genandt Cornelius
In sein Hertzen einziehen muss. – –
Es meynet ein jeder jung Student,
Den man nit immer Gelt zusendt,
Er hab auf sich ein Sorg gar schwer,
Cornelius der trück ihn sehr – –
Der Gast Cornelius genandt
Regiert daheim als hie so wol.


Auch im Simplicissimus erwähnt
Der Verfasser konnte noch eine weitere Literaturstelle für Cornelius = Katzenjammer finden, nämlich in dem großen Schelmenroman über den 30-jährigen Krieg Der abenteuerliche Simplicissimus von Johann Jakob Christoffel von GRIMMELSHAUSEN, erschienen erstmals 1668. Zu Beginn des 7. Kapitels (4. Buch) beschreibt Simplicissimus, wie schlimm ihn die Kindsblattern (Syphilis) zugerichtet haben:
"Meine Augen, die man hiebevor niemal ohne Liebesfeur finden können, eine jede zu entzünden, sahen jetzt so rot und triefend aus wie eines achtzigjährigen Weibs, das den Cornelium hat."
In den Anmerkungen der von Prof. Dr. Siegfried STRELLER mit einem Nachwort versehenen Lizenzausgabe des Verlags Langen-Müller, München, (ohne Datum, nach 1970) heißt es zur Erklärung des Wortes Cornelium nur kurz (vielleicht wegen der medinzinischen Bezeichnung Kornea für die Hornhaut des Auges?): "Star". GRIMMELSHAUSEN meinte aber wohl kaum die Augenkrankheit Star, die auch nicht mit roten, triefenden Augen einhergeht, sondern wollte sagen, dass seine Augen so glanzlos waren wie bei einer trübseligen 80-Jährigen.
Wieder ein Beispiel, wie unbekannt der Cornelius inzwischen selbst bei Literaturwissenschaftlern ist.
Weiter zum nächsten Kapitel: Rudolf Cornely, Jesuit, Exeget und Schriftleiter
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