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1. Der Cornutus-Trugschluss oder die Hörnerfrage Unter Cornutus versteht man eine Art Trugschluss oder übertragen ein Dilemma. Hierfür ist aus dem Altertum von dem Griechen Eubulides (400 v. Chr.), einem Vertreter der megarischen Philosophenschule, folgendes Beispiel überliefert: Es wurde gefragt: Hast du die Hörner abgeworfen? War hierauf die Antwort bejahend, so kam die Folgerung: Also hast du welche gehabt. Aus der verneinenden Antwort wurde gefolgert: Also hast du sie noch. Die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste von 1829 erklärt diesen Trugschluss, der auch die Hörnerfrage genannt wird, so: "Hiebei wird aus einer Disjunction, die auf einer Voraussetzung beruht, durch Verschweigung dieser Voraussetzung eine trügliche Folgerung gezogen. Die Disjunction ist hier nur unter der Voraussetzung richtig, daß von einem Subjecte die Rede ist, welchem wirklich Hörner zukommen." 2. Der gehörnte Moses In der Kunst gibt es Darstellungen des Moses aus dem Alten Testament, bei denen er am Kopf Hörner trägt, also gehörnt ist = cornutus. Beispiele hierfür sind die Moses-Darstellung an der romanischen Platerías-Fassade der Kathedrale von Santiago de Compostela in Spanien vom Anfang des 12. Jh., weiterhin der so genannte Mosesbrunnen in der Kartause von Champmol bei Dijon in Frankreich, geschaffen um 1400 von dem Niederländer Claus Sluter, und die berühmte Mosesfigur des Michelangelo, die er ab 1513 für das Grabmal von Papst Julius II. in der Kirche S. Pietro in Vincoli in Rom schuf (bei der dem Moses die Hörner vorn aus dem Kopf wachsen, während sie bei dem Moses in Santiago seitlich aus dem Kopf kommen). Wieso ist Moses gehörnt? – Es soll sich schlicht um einen Lese- oder Übersetzungsfehler handeln, wobei es hierbei wieder verschiedene Erklärungsversionen gibt. In der deutschen Einheitsübersetzung der Bibel von 1980 heißt die betreffende Stelle (2. Buch Moses, Kapitel 34, Vers 29, ähnlich Vers 35): "Als Mose vom Sinai herunterstieg, hatte er die beiden Tafeln der Bundesurkunde in der Hand. Während Mose vom Berg herunterstieg, wusste er nicht, dass die Haut seines Gesichtes Licht ausstrahlte, weil er mit dem Herrn geredet hatte." Anstelle des "austrahlenden Lichts" heißt es in anderen Übersetzungen, dass der Kopf des Moses mit einem "Strahlenkranz" umgeben war oder dass die Haut seines Angesichts glänzte. Das zugrunde liegende lateinische Wort ist dasselbe, nämlich coronatus = gekrönt (nicht cornutus = gehörnt). Hierzu erklärt das Büchlein Kleines Lexikon religiöser Irrtümer von Andreas MALESSA, 2006, das hebräische Wort im ursprünglich hebräisch verfassten Alten Testament für "strahlen" heiße karan, das Wort für "Horn" kären. Weil im hebräischen Urtext nur die Konsonanten standen, führte die spätere Einfügung von Vokalen zu unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten. In der lateinischen Übersetzung des Alten Testaments durch den Kirchenvater Hieronymos (um 347420) habe dieser fälschlicherweise das Wort cornutus (= gehörnt) verwendet. Bei ihm hieß die entsprechende Textstelle: "Ignorabat quod cornuta esset facies sua" (= Er wusste nicht, dass sein Antlitz gehörnt war). Diese Übersetzung legten dann verschiedene Künstler ihren Moses-Darstellungen zugrunde. So zeigt auch noch die barocke Decke der Dorfkirche von Brumby (heute Ortsteil von Staßfurt in Sachsen-Anhalt), die in den Jahren nach 1664 von dem Braunschweiger Maler Heinrich Busch neu gestaltet wurde, einen gehörnten Moses. Einen Kompromiss hat man anscheinend bei dem Moses in einer Skulpturengruppe gefunden, die 1857 der preußische König Friedrich Wilhelm IV. in Auftrag gab und die in Potsdam im Atrium der Friedenskirche im Park von Sanssouci steht. Entworfen wurde die Skulptur von dem berühmten Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777–1857 ): Wo bei anderen Darstellungen die beiden Hörner aus dem Kopf des Moses sprießen, sind es hier zwei strahlenähnliche Gebilde. Ausgestanden scheint die Frage immer noch nicht zu sein. Knauers Lexikon der Symbole von Prof. Dr. Hans BIEDERMANN aus dem Jahre 2004 hält die Übersetzung der Bibelstelle weiterhin für "umstritten" und weist unter anderem auf Gesichtsmasken aus Rinderschädelteilen hin, die im alten Palästina nicht unbekannt waren. 3. Der Philosoph Lucius Annaeus Cornutus Laut Meyer's Konversationslexikon, 4. Auflage von 1885-1892, gab es einen stoischen Philosophen dieses Namens. Er wurde danach zu Leptis in Afrika geboren und war Lehrer der Philosophie in Rom. Von Kaiser Nero wurde er 66 n. Chr. auf die Insel Gyaros verwiesen, wo er starb. Auch als Dichter, Redner, Grammatiker und Historiker war er berühmt. Er soll auch ein griechisches Werk über die Natur der Götter verfasst haben. 4. Der heilige Cornutus Es gibt es einen Märtyrer dieses Namens, nämlich Cornutus von Ikonion, dessen Fest am 12. oder 13. September begangen wird. 5. Der Palast des Gaius Julius Cornutus in Perge In der römischen Ruinenstätte Perge nordöstlich von Antalya ist in der Unterstadt - worauf der Baedeker Türkei von 1999, S. 202 hinweist - der Palast des Gaius Julius Cornutus ausgegraben worden. In anderen Reiseführern werden die stattlichen Ruinen auch als Palästra (= antike Fechtschule) bezeichnet. Welcher Cornutus der Erbauer war, scheint nicht klar zu sein. Die Cornutus-Familie war in Perge zumindest in drei Generationen ansässig und gehörte offenbar zu den angesehendsten der Stadt, wie aus einer auf der Agora gefundenen Inschrift zu schließen ist. Zu den Vorfahren sollen König Archelaus von Kappadokien und Herodes der Große, König von Judäa, gehört haben. 6. Der Cornutus des Johannes de Garlandia So nennt sich ein lateinisch abgefasstes Schulbuch des 13. Jh. (www.1.uni-hamburg.de/disticha-catonis/homepage.cornutus.html). Dazu gibt es einen Novus Cornatus, eine deutsche Übersetzung von Otto von Lüneburg aus dem Jahre 1908. 7. Studenten und Buchdrucker Cornutus wurden früher laut Meyer's Konversationslexikon von 1863 auch neu aufgenommene Studenten genannt, weil sie bei der Aufnahme einen Hut mit Bockshörnern tragen mussten. Bei den Buchdruckern, die ebenfalls diesen Brauch annahmen, seien noch im 19. Jh. die Lehrlinge so bezeichnet worden. Schon fast hundert Jahre vorher stand dazu in der Oekonomischen Encyclopädie von J. G. KRÜNITZ (www.kruenitz1.uni-trier.de), Band 8 von 1776/1785, unter dem Stichwort Cornut, wo auch vom Cornuten=Geld und Cornuten=Horn die Rede war, der für uns heute etwas rätselhafte Satz: "Zuweilen wird ein Cornut auch ein Cornelius genannt, welcher Nahme aber wohl nichts weiter als ein geschmackloses Wortspiel ist."Hat hier Cornelius vielleicht etwas zu tun mit der alten Komödie vom verbummelten Studenten oder dem fast vergessenen Ausdruck Cornelius für Katzenjammer? 8. Stuntteam Canis Cornutus In Deutschland gibt es ein Stuntteam dieses Namens, das auch choreographische Beratung anbietet (www.canis-cornutus.de). 9. Tier- und Pflanzennamen mit "gehörnt" Schließlich ist eine Anzahl wissenschaftlichen Tier- und Pflanzennamen mit cornutus = gehörnt gebildet. Hier eine Auswahl: Eine noch häufig bei uns anzutreffende Wildbiene, deren Larven in Löchern von Mauern oder Holz aufwachsen, ist die Gehörnte Mauerbiene - Osmia cornuta. Die auch in Deutschland vorkommende Dornzikade nennt sich wissenschaftlich Centrotus cornutus, Weiterhin tritt in Deutschland ein Vorratsschädling in Getreideprodukten namens Gnathocerus cornutus (deutsch: Vierhornkäfer) auf. In Nordrhein-Westfalen ist die Schilf-Radspinne = Larinioides (oder Araneus) cornutus weitverbreitet. In warmem Wasser lebt der bis 25 cm große Halfterfisch oder Zanclus cornutus. Das Fischhaus Zepkow aus dem Kreis Müritz bietet (2010) Meeresschnecken aus Japan namens Turbo cornutus Operculum, Größe über 3 cm, zum Kauf an. Es gibt auch eine Meeresschnecke mit der Bezeichnung Turbo cornutus cornutus. Die britische Veröffentlichung Garden Plant Conservation, 1999 (www.manntaylor.com/plantweek21.html), listet eine Varietät des Pfaffenhütchens auf mit der Bezeichnung Euonymus cornutus var. Quinquecornutus. Ferner gibt es eine Gardenia cornuta (= gehörnte Gardenie). |