Wieso ein Corneliusberg in Helmstedt?
In einigen älteren Lexika wird ein Corneliusberg bei Helmstedt in Niedersachsen aufgeführt, auf dem sich die Lübbensteine befinden, zwei jungsteinzeitliche Großsteingräber aus der Zeit um 3.500 v. Chr. So lautet in Meyer’s Konversations-Lexicon von 1863 das betreffende Stichwort:
Corneliusberg, Berg bei Helmstädt, mit den sogenannten L ü b b e n s t e i n e n, zwei Granitblöcken,
die in der Heidenzeit als Opferaltäre gedient haben sollen.
Erkundigt man sich vor Ort, so kennen zwar alle die Lübbensteine (nicht "zwei Granitblöcke", sondern zwei Grabanlagen mit einer Vielzahl von Steinen aus Quarzit), aber nur ein paar Experten die Bezeichnung Corneliusberg. Die Erklärung: Heute wird der Berg - der Ausdruck Hügel trifft die Situation wohl eher - St. Annenberg genannt. Unzweifelhaft hieß er aber früher Corneliusberg. So zeigt ein Merianstich aus dem 17. Jahrh. - wahrscheinlich von 1654 - im Westen der Stadt jenseits des 1176 gegründeten Augustinerinnenstifts Marienberg eine Erhebung, die bezeichnet ist als "Sepulchra Giganten Cornelyberg" (sepulchra = lat.: Gräber).



Der (ehemals so bezeichnete) Corneliusberg in Helmstedt mit dem nördlichen der beiden Großsteingräber,
Lübbensteine genannt, aus der Zeit um 3.500 v. Chr. Der Besucher auf den Steinen lässt die Ausmaße erkennen. (Foto 1.10.2003)

1501 Corneliusberg genannt
Über den Ursprung des Bezeichnung Corneliusberg gibt es keine schriftlichen Quellen. Rolf Volkmann aus Helmstedt, einer der besten Kenner der Stadtgeschichte und Leiter der "Ehemaligen Universitätsbibliothek Helmstedt", hatte schon 1955 in einem Artikel "Christliche Namen für eine steinzeitliche Begräbnis- und Kultstätte" (Kreisblatt für Helmstedt, Schöningen, Königslutter und Vorsfelde, 12.11.1955) versucht, den Namen zu erklären. Danach ist der jetzige Name St. Annenberg noch nicht sehr alt. 1501 wurde am Fuß des Berges ein Hospital für Aussätzige erbaut, das der heiligen St. Anna geweiht war. Es wurde aber gegen Ende des 30-jährigen Krieges, und zwar 1642 mitsamt seiner Kapelle zerstört. In einer Urkunde aus dem Jahre 1501 hieß der Berg Corneliusberg, ebenso in einem Bericht über eine Ausgrabung im Sommer 1733 - "in dem so genanten Cornelius=Berg" - von J. C. Zimmermann (www.geopark-braunschweiger-land.de/erlebnistour/geopunkt5).

Mangels urkundlicher Quellen vermutet Volkmann, dass bei der Einführung des Christentums in dieser Gegend der Berg, der bis dahin vermutlich einen heidnischen Namen geführt habe, nach einem christlichen Heiligen benannt wurde, und zwar nach Papst Cornelius, der "Heilige mit dem Horn", Patron gegen die Epilepsie und Beschützer des Hornviehs. Volkmann "nimmt als ziemlich sicher an", dass der Berg seinen Namen in der Zeit der Christianisierung erhielt.
Dem dürfte zuzustimmen sein, wobei der Zeitpunkt der Namensgebung interessante Fragen aufwirft. Zunächst ist Helmstedt relativ weit entfernt von den Kerngebieten der Cornelius-Verehrung, die im nördlichen Rheinland, in Belgien, in den Niederlanden und in der Bretagne liegen. Andererseits gab es schon recht früh in der Mitte Deutschlands einen Cornelius-Kult, der aber offenbar nie so populär wurde wie weiter im Westen. So sind Altarreliquien des Heiligen im nahen Halberstadt (Kirche St. Stephan) von 974, in Hildesheim (Dom) von 1061, in Braunschweig (Blasiuskirche) aus dem 12. Jahrh. und in Erfurt von 1228 bezeugt. Das ebenfalls außerhalb der Kerngebiete liegende Fulda ist wahrscheinlich die früheste Verehrungsstätte in Deutschland. Dorthin sollen schon 836 Cornelius-Reliquien direkt aus Rom gekommen sein und nicht etwa wie meist sonst über Compiègne/Kornelimünster oder Köln.

Parallelen zur Bretagne?
Wenn Quellen fehlen, kann man nur spekulieren. Dabei ist das Vorhandensein der jungsteinzeitlichen Hünengräber von besonderem Reiz. Ein im Oktober 2003 erschienenes Werk Der Himmel ist unter uns von Thiele/Knorr stützt nachhaltig die These, dass nach der Christianisierung an der Stelle der heidnischen Kultstätten und Begräbnisplätze (die sich nach Sternen ausgerichtet haben sollen) christliche Kirchen und Kapellen erbaut worden sind. Hat man vielleicht den Lübbensteinen ihren heidnischen Charakter nehmen wollen, in dem man den Ort dem heiligen Cornelius weihte? Dies könnte schon im 9. Jahrh. gewesen sein, wie dies wahrscheinlich in Bad Buchau (Baden-Württemberg) und Metelen (Bistum Münster) der Fall war, und zwar vermutlich unter dem Einfluss des Herrscherhauses, der Karolinger oder der frühen deutschen Könige.
Noch spekulativer ist es, eine Verbindung zur Cornelius-Verehrung in der Bretagne zu ziehen, dem neben Kornelimünster - zu dem es aber anscheinend keine direkten Beziehungen gibt - wichtigsten Zentrum des Cornelius-Kults. Wie kaum sonstwo auf der Welt findet man in der Bretagne Monumente aus der Steinzeit, vor allem aus dem Neolithikum. Dort wird vermutet, dass die Cornelius-Verehrung die Christianisierung eines uralten Stierkults ist, einer Art Furchtbarkeitskults. Könnte bei den neolithischen Lübbensteinen Ähnliches vorliegen?

Abzulehnen ist jedenfalls die heute in Helmstedt noch zu hörende These, der Berg habe seinen Namen von dem Niederländer Cornelius Martini (1567–1621) erhalten, seinerzeit weit bekannter Professor an der 1576 gegründeten Universität, der an den Lübbensteinen oft mit seinen Studenten geweilt haben soll. Schon allein an dem Datum der ersten Erwähnung des Corneliusberges im Jahre 1501 scheitert diese These.

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