Der Heilige mit dem Horn
Schon das Heiligen-Lexikon von 1858 weist darauf hin, dass der hl. Cornelius auf Kirchenbildern in päpstlichem Ornat "mit einem Schwert und bisweilen mit einem Horn (entweder Jagdhorn oder Trinkhorn) in der Hand" dargestellt wird. Das Schwert erkläre sich daraus, dass nach der Legende Papst Cornelius den Tod durch Enthauptung mit dem Schwert erlitten habe (in jüngerer Literatur wird meist die Ansicht vertreten, Cornelius sei in der Verbannung an Erschöpfung gestorben; die Bezeichnung Märtyrer sei somit nicht falsch für ihn). Im Heiligen-Lexikon heißt es dann weiter: Das Horn werde abgebildet, "vermuthlich weil er ein kräftiger Beschützer (ein Horn des Heiles, ein Hort) der katholischen Kirche war, sowohl während der Sedisvacanz als während seiner Regierung." Nahezu gleich lautend drückt sich auch 1959 Otto WIMMER im Handbuch der Namen und Heiligen aus.
Die Erklärung für das Horn ist aber einfacher - und insoweit heute nicht mehr umstritten: Da der Name Cornelius mit dem lateinischen Wort corn(u) = Horn beginnt, bildete man ihn mit dem Horn ab als Erkennungszeichen, als so genanntes Attribut. Aber das Horn war nicht nur ein Attribut unter vielen anderen. Ein Horn war mehr, war etwas Besonderes. Es wurde Brauch, aus dem Horn geweihtes Wasser zu trinken, wie es von vielen Wallfahrtsorten des hl. Cornelius bekannt ist. Ohnehin war es eine im Mittelalter weit verbreitete Sitte, Wein oder gesegnetes Wasser aus Reliquiaren zu trinken, wie Prof. ZENDER in seinem Werk Räume und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung... (s. weiter hinten im Kapitel "Stätten der Cornelius-Verehrung"), 1973, ausführt. Im Museum von Skogar im Süden Islands findet sich bei den dort ausgestellten mittelalterlichen Trinkhörnern sogar der bemerkenswerte Satz in deutscher Sprache (Juli 2006): "Sie finden auch in Kirchen beim Ausbringen von Trinksprüchen auf Heilige Verwendung".

Horn als Reliquiengefäß
Laut Zender hat man das Horn auch vielfach deswegen als Reliquiengefäß gewählt, weil es so selten war, ebenso wie man anderswo Straußeneier, Kokosnüsse und Elefantenzähne als Reliquiare gebrauchte. Offenbar galten größere, verzierte Hörner als Prestigeobjekte beim hohen Adel und als etwas so Kostbares, dass man sie dann, als sich im 10. bis 13. Jh. der Heiligenkult ausbreitete, für würdig befand, Gebeine von Heiligen aufzunehmen. Wie Henk VAN OS in seinem Buch Der Weg zum Himmel (über eine Ausstellung zu Reliquien in Amsterdam, 2000) feststellt, waren "Hörner an vielen Orten als Reliquiare in Gebrauch; man sah sie als Klauen des legendären Greifen an, eines vogelähnlichen Monsters, um das sich viele Geschichten rankten". So berichtet auch die Legende vom Cornelius-Horn in Kornelimünster, es handele sich um eine Klaue des Vogels Greif, die Cornelius als Trinkgefäß benutzt habe.

In der Schatzkammer der St. Servaas-Basilika im niederländischen Maastricht, nur etwa 35 km westlich von Kornelimünster gelegen, sind in drei Vitrinen eine Anzahl Hörner aus dem 14. bis 16. Jh. ausgestellt. Kostbar eingefasst, dienten oder dienen sie sämtlich als Reliquienbehälter. Zwei sind aus Elfenbein. Bei einem anderen handelt es sich um ein Büffelhorn vom Ende des 15. Jh., das auf zwei Vogelfüßen steht, anscheinend die des sagenhaften Vogels Greif. Es trägt die Inschrift: "DER TRANK DER IN DEM HORNE IST DEN GESEYNE UNS ... "

Noch andere "Horn-Träger"
Das Jagdhorn war aber nicht nur das Attribut des hl. Cornelius. Auch die Heiligen Hubertus (Patron der Jäger, Missionar und Bischof, gestorben 727 bei Brüssel), Oswald (englischer König, gestorben 642, Patron der Kreuzfahrer und des Viehs) und Eustachius (Patron der Förster und Jäger, 118 in Rom als Märtyrer gestorben) wurden mit einem Horn abgebildet. Manchmal ist auch noch ein weiterer populärer Heiliger mit einem Horn zu sehen, das in seinem Fall eindeutig kein Trinkhorn, sondern ein Signalhorn ist. Es handelt sich um den heiligen Blasius, der um das Jahr 300 Bischof von Sebaste in Armenien und Märtyrer war und vor allem als Patron gegen Halsleiden verehrt wird. Bei ihm wird das Horn-Attribut nach gleichem Muster hergeleitet, wie dies nachstehend bei Cornelius näher ausgeführt wird: Im Namen Blasius steckt das (Horn-)blasen. Ein Beispiel hierfür ist die (ein Horn blasende) Blasiusfigur, die den Schlussstein im Sterngewölbe der 1515 fertig gestellten St.-Blasien-Kapelle in Northeim/Niedersachsen bildet.


Beschützer des Hornviehs
Viele Jahrhunderte hindurch galt (und gilt in kleinerem Umfang noch heute) Cornelius in der Volksfrömmigkeit als Helfer bei Erkrankungen von Haustieren und/oder als Helferheiliger bei Fallsucht und verwandten Krankheiten. Das 1998 erschienene Werk Heilige und Namenspatrone im Jahresablauf von SCHAUBER/SCHINDLER stellt den Ausführungen über Cornelius als Einführung voran:
"Patron der Bauern; des Hornviehs; gegen Ohrenleiden; Krämpfe,
Nervenleiden und Epilepsie ("Kornelkrankheit")"

Diese Schutzpatronate gehen jedoch - wie Prof. Zender als einer der besten Kenner der Materie eindeutig formuliert - "nicht auf das Leben oder die Legende des hl. Papstes zurück". Es heißt bei ihm unmissverständlich weiter:
"Soweit sich heute derartige Heilungen in der Legende finden, handelt es sich um spätere Zutaten, die zur Erklärung der Schutzpatronate dienen sollen und deswegen eingefügt wurden. Als Helferheiliger bei Vieherkrankungen gilt Cornelius einzig und allein dank seines Namens Cornelius-Cornu-Horn – bêtes à cornes-Hornvieh, wie wir ja ähnliche Assoziationen auch bei anderen Heiligen als Ursache ihrer volkstümlichen Verehrung kennen."
Als Beispiele hierzu führt er an: Valentin bei der "fallenden Krankheit" oder Epilepsie (obwohl das lateinische valens "kräftig, gesund" bedeutet), Luzia und Clara bei Augenleiden, Wolfgang bei Wolfsgefahren. Die Reihe lässt sich fortsetzen: Blasius als Patron der Hornbläser, Lambert als Helfer gegen Lahmheit, Augustin als Helfer bei Augenleiden.
Allerdings ist in der deutschen Sprache corn nicht gleich Horn wie im Lateinischen, Italienischen und Französischen. Im deutschen Sprachgebiet war also die Verbindung zum Hornvieh nicht gegeben. Anzunehmen ist aber, dass die in der Bretagne schon früh einsetzende Verehrung als Schutzpatron des Hornviehs Ausstrahlungen auf den niederländisch/deutschen Sprachraum hatte. Wahrscheinlich haben die seit Mitte des 15. Jh. zu beobachtenden Darstellungen des Heiligen mit einem Horn in der Hand die Assoziationen mit dem Hornvieh erheblich verstärkt.


Hörner: Symbol und Prestigeobjekt
Seit dem Altertum wurde das Horn verschiedener Tiere sowohl als Trinkhorn wie auch - vor allem im Krieg und bei der Jagd - als Signalhorn verwendet. Häufig war es aber nicht nur Gebrauchsinstrument, sondern wurde als Jagdtrophäe gesammelt und hatte offenbar auch kultische Bedeutung. Viele waren nämlich kostbar eingefasst und reich verziert. Laut dem Illustrierten Lexikon der traditionellen Symbole von J. C. COOPER (1986) wurden mit Hörnern "übernatürliche Kräfte, Göttlichkeit, die Kraft der Seele oder das Lebensprinzip, das vom Kopf ausgeht" verbunden. Pluto als Gott des Reichtums wurde mit einem Füllhorn, dem Horn des Überflusses, abgebildet. Hiermit zusammen hängt wohl auch die Redewendung "sich die Hörner abstoßen" für das Abbauen von übermäßiger jugendlicher Kraft. Schon bei den Römern hieß es von einer Frau, die ihren Mann betrog, dass sie ihm "Hörner aufsetzte", wobei die Herkunft dieser Wendung ungeklärt erscheint. Gehörnte Tiere galten oft als Fruchtbarkeitssymbole. Im Mittelalter haben viele Künstler bis hin zu Michelangelo Moses mit zwei Hörnern auf dem Kopf gemalt, offenbar aufgrund der fehlerhaften Übersetzung einer Bibelstelle. Der Opferaltar der Israeliten trug Hörner in den vier Himmelsrichtungen zum Zeichen der Allmacht Gottes. Im Neuen Testament, in der Apokalypse des Johannes (5.6), trägt das Lamm Hörner auf dem Kopf, und zwar gleich sieben, die die sieben Geister Gottes versinnbildlichen sollen.
Auch eines der bekanntesten Fabeltiere, das Einhorn, hat als Hauptmerkmal ein Horn, dem eine Anzahl besonderer Eigenschaften zugeschrieben wurden. So sollte es vor allem Gift neutralisieren. Vielleicht auch daher war es als geschätztes Trinkgefäß in Gebrauch.
Andererseits ab es auch eine negative Anmutung: Der Teufel wurde häufig gehörnt dargestellt.

Hörner mit viel Historie
Für die ehemalige Bedeutung des Trink- oder Signalhorns zunächst zwei Beispiele aus dem angelsächsischen Raum: In der Kathedrale der englischen Stadt York, dem Minster, wird ein Horn ausgestellt (mit silberner Fassung am Anfang und Ende sowie zwei silbernen Ringen zur Halterung der silbernen Tragekette; Schnitzereien im Horn stellen geflügelte Fabelwesen dar, vielleicht den Vogel Greif). In der Beschreibung darüber heißt es (übersetzt vom Verfasser): "Das Horn des Ulf, in Italien aus einem Elefantenstoßzahn gefertigt und dem Minster geschenkt von einem Wikinger-Anführer des 11. Jh. als Zeichen für ein Land-Geschenk."
Ein anderes Beispiel ist ein messingverziertes Trinkhorn aus dem 12. und 15. Jh., "The Kavanagh Charter Horn" genannt, das im irischen Nationalmuseum in Dublin ausgestellt ist. Wie es in der Erklärung dazu heißt, ist es "das einzige erhaltene Objekt, das mit dem irischen Königtum assoziiert ist". Das aus Elfenbein von Elefanten gefertigte Horn sei über Generationen von der Kavanagh-Familie aufbewahrt worden und sei eines der Symbole der Könige von Leinster.

Besonders wertvolle, aus Elfenbein gefertigte Signalhörner nannte man Olifant. Im 2006 wiedereröffneten Deutschen Historischen Museum im Zeughaus in Berlin ist ein Olifant aus der Zeit um 1.000 ausgestellt. Laut den Ausführungen dort wurden Olifanten von Angehörigen des hohen Adels bei der Jagd verwendet. Aus der Art der reichen Verzierungen schließt man, dass sie im islamischen Bereich hergestellt worden sind, und zwar zum großen Teil in Unteritalien. Sie galten als besonderes Zeichen der Würde und Ehre. Auch in dem nur wenig entfernten Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel, im Oktober 2006 wiedereröffnet, ist ein Olifant ausgestellt, und zwar in der Abteilung "Konstantinopel und das Byzantinische Reich" (Raum 110). Er datiert aus dem frühen 12. Jh. und wurde in Süditalien oder Venedig angefertigt. Laut Museumskatalog wurde er von mehreren Schnitzern zu unterschiedlichen Zeiten bearbeitet. Die Schnitzereien stellen drei Jagdszenen dar: Hirsch-, Bären- und Löwenjagd. Er wurde daher anscheinend zur Jagd benutzt. Das Horn gibt ohne Mundstück einen tiefen Klang von sich.
Der wohl berühmteste Olifant gehörte Roland, Markgraf der Bretagne und Paladin Kaiser Karls des Großen, der im Jahre 778 laut Rolandslied in den Pyrenäen von Heiden umringt war und mit dem Horn Kaiser Karl zu Hilfe rief.
Im berühmten "Grünen Gewölbe" des Dresdner Schlosses sind drei Trinkhörner vom Ende des 14./Anfang des 15. Jh. ausgestellt, die dort als Greifenklauen bezeichnet werden. Im isländischen Nationalmuseum in Reykjavík und im Museum von Skogar im Süden Islands sind mehrere Trinkhörner aus Rinderhorn ausgestellt (Juli 2006), die reich mit Eingravierungen verziert sind. Wie es dort dazu heißt, waren solche Hörner zur Wikingerzeit und im Mittelalter in der nordischen Welt weit verbreitet. Nur in Island seien aber solche gravierten Hörner üblich gewesen. Sie seien für Toaste bei speziellen Gelegenheiten gebraucht worden. Im isländischen Nationalmuseum ist auch ein kleineres Trinkhorn für "Liquor" (Likör, Branntwein) aus dem 18. Jh. zu sehen, auf dem die Initialen von Jesus eingraviert sind.

"Aachenhorn" vielleicht ein Cornelius-Horn?
Bei einer Ausstellung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 1994 in der Kaiserpfalz Paderborn unter dem Thema "Keramik des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Westfalen" wurden auch Pilgerandenken aus Ton gezeigt, darunter zwei Fragmente von Pilgerhörnern. In dem "Wegweiser" durch die Ausstellung fand sich die nachstehende Abbildung eines der beiden Pilgerhörner, das aus dem 14./15. Jh. stammt und in Billerbeck in Westfalen gefunden wurde. Solche Hörner, die aus Ton gebrannt waren, wurden "Heiltumshorn" oder "Aachenhorn" genannt, kurz auch "Aachhorn". Bei der alle sieben Jahre stattfindenden Heiltumsfahrt nach Aachen wurden sie von den Pilgern bei der Zurschaustellung des Reliquienschatzes, der sogenannten Heiltümer, zum Blasen benutzt. Es hieß dazu: "Tosender Lärm erscholl hier aus Tausenden von Hörnern, wenn die verehrten Reliquien den Gläubigen gezeigt wurden."
Fragment eines Heiltums- oder Aachenhorns aus Ton,
14./15. Jh., gefunden in Billerbeck.

Der Band 8 des Pilgerführers Jakobswege, der in 9 Etappen die Wege der Jakobspilger in Westfalen von Höxter über Paderborn und Soest nach Dortmund behandelt (2010, herausgegeben von der Altertumskommission für Westfalen), geht bei Etappe 4 Paderborn – Geseke näher auf die Aachhörner ein. Danach sind sie schon spätestens in der Mitte des 14. Jh. aufgekommen. Funde in Städten, Burgen und Kirchen aus dem 14. bis 16. Jh. seien bekannt. Es habe auch eine zweite Variante gegeben in Form von gewundenen Hörnern ähnlich Posthörnern. Beide Formen seien bis ins 17. Jh. in Gebrauch gewesen. Eine Reisebschreibung aus dem Jahre 1510 belege die gleichzeitige Verwendung solcher Hörner sowohl in Aachen als als in Maastricht, Kornelimünster und Düren. Nach dem Gebrauch hätten die Pilger sie mit nach Hause genommen und später zum Vertreiben von Unwettern geblasen. In den Jakobswegen heißt es dazu ohne weitere Begründung: "Es handelt sich um Nachbildungen des Olifanten Karls des Großen. " Dieser Satz könnte allerdings etwas zu vereinfachend sein, vor allem wenn man die Ausführungen weiter oben über das Horn als Prestigeobjekt berücksichtigt. Dazu kommt folgendes: An die alle sieben Jahre stattfindende Heiltumsfahrt nach Aachen schloss sich jeweils ein Abstecher nach Kornelimünster an, wo Papst Cornelius, der "Heilige mit dem Horn" verehrt wurde. Könnte das Aachhorn nicht eher mit dem Horn des Cornelius zu tun haben?

In einer Anzahl Wappen
In der Kunst und Heraldik sind Darstellungen von Jagd- oder Trinkhörnern häufig anzutreffen. Verschiedene Ortschaften tragen ein Horn im Wappen. So besteht auf der Schwäbischen Alb das Wappen von Bad Urach aus einem Horn und das der Stadt Neuffen aus drei Hörnern. Auch im Wappen des Schweizer Kantons Uri befindet sich ein Horn, ebenfalls im Wappen des niederländischen Königshauses, der Oranier. Die belgische Adelsfamilie Cornet d’Elzius de Ways-Ruart führt in ihrem Wappen drei goldene Hörner, offenbar im Zusammenhang mit ihrem Namen Cornet (= Jagdhorn oder Jagdhornbläser). Zu sehen ist es in der Kirche Notre-Dame au Sablon in Brüssel, einer der schönsten romanischen Kirchen Belgiens, unter einem nach dem 1. Weltkrieg von den Adligen Belgiens gestifteten Kirchenfenster mit der Darstellung des betenden Königspaares. Die Stadt Borgarnes im Westen Islands führt als Wappen ein gelbes (oder goldenes?) Trinkhorn mit einer weißen Ähre auf grünem Grund. All diese Hörner haben aber wohl nichts mit Papst Cornelius zu tun. Auf Cornelius geht aber das Horn in den Wappen von Kornelimünster, Wallscheid, Monschau-Rohren, Riveris und Wanroy in den Niederlanden zurück.


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